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Travemünde 04.09.2007
Serie »Menschen & Meer«
Eine ganz andere Welt: Wie Adam Kurek 1989 in Travemünde von der »Dar Młodzieży« türmte
Adam Kurek hat 1989 an Bord der »Dar Młodzieży« nicht einmal einen Namen. Die Schüler der Seefahrtsschule in Stettin haben nur Nummern, Kurek wird Nummer 68 gerufen. Trotzdem fällt er auf. Der 20jährige will nicht in die Segel, weil ihm in der Höhe übel wird. Es passt ihm nicht, dass die oberen Ränge den Schülern den Kaffee vorenthalten, der ihnen zusteht. Als der Wind Schiffsabgase in die Schlafräume bläst, wagt er als einziger trotz Verbotes, das Bullauge zu öffnen. Mit dem Kopf nach draußen schläft er. Bei einem Rhythmus, der aus vier Stunden Arbeit und vier Stunden Pause besteht, ist Schlaf kostbar. Ein bisschen was von all dem landet in den Liedern, die Nummer 68 auf der Gitarre spielt. »Da herrschte große Disziplin, und da ich ein bisschen anders dachte, wurde ich ein bisschen verfolgt«, erzählt er.
Als die »Dar Młodzieży« in Travemünde festmacht, muss Adam Kurek als einziger arbeiten: Streichen, Deck schrubben, Messing polieren. Die Kollegen gehen einkaufen. Irgendwann geht er doch von Bord, ohne Erlaubnis. Bummelt durch die Straßen von Travemünde. Ein Vorgesetzter sieht ihn, verpfeift Kurek sofort beim Kapitän. Man gibt dem jungen Matrosen zu verstehen, dass das in der Heimat große Konsequenzen haben wird. Wahrscheinlich wird er von der Schule fliegen. Jetzt darf er nicht mal mehr auf Deck. Adam Kurek geht noch einmal heimlich von Bord, mit Seesack und Gitarre, für immer. Ein Kamerad will eigentlich mit, wagt das dann aber doch nicht. Heimat und Familie zurücklassen, das ist ein gewaltiger Schritt.
Doch Adam Kurek, der ein bisschen Deutsch spricht, hat die Travemünder kennen gelernt, hat Marzipan, Saft, Früchte geschenkt bekommen. Die Menschen sind freundlich und das Leben ganz anders als im kommunistischen Polen von damals: »Travemünde, das war eine ganz andere Welt.« In Lübeck, erzählt Adam Kurek, bekam er dann doch einen Schock, wollte zurück aufs Schiff, aber Landsleute halten ihn davon ab. Bekannte aus Masuren bestätigen, dass sein Großvater Deutscher war, Adam Kurek wird als Aussiedler anerkannt. Seine Eltern schicken ihm den Pass nach, er hat ja nur sein Matrosenbuch dabei. In Bad Schwartau findet er Arbeit als Fotolaborant, schult später zum Groß- und Außenhandelskaufmann um.
Jetzt führt er seinen Polnischen Delikatessen-Laden in Travemünde, fährt regelmäßig zum Einkaufen nach Polen, das längst die Demokratie hat, die EU und einen Wirtschaftsboom. »1990 war die Wende in Polen, wenn ich das gewusst hätte«, sagt Adam Kurek heute. Vielleicht wäre er dann an Bord geblieben. Aber bereut hat er nichts. Jetzt hat er zwei Staatsbürgerschaften, Lübeck ist seine neue Heimat, hier lebt er mit Frau und Tochter. Zurück könnte er, will er aber nicht mehr.
Das Segelschulschiff »Dar Młodzieży« macht immer noch regelmäßig in Travemünde fest. Adam Kurek geht dann als Besucher an Bord. Die alte Mannschaft ist ja längst fort. Aber ein bisschen komisch fühlt er sich dann schon… HN
TA-Lestipps:
In unserer Reihe »Menschen & Meer« stellten wir bereits Ralph Hosbein vom Columbia-Hotel, Bettina Michaelis-Otte vom Seebad-Museum, Urlauberin Silke Riemscheid und Strandkorbvermieterin Charlotte Seipel vor.