BLAULICHT 7 662
Travemünde/Lübeck. 03.12.2020
Nach Todesdrohung: Handwerkskammer macht sich über Opfer lustig
»Ich bin ja kein ängstlicher Mensch, aber das geht nicht. Man traut sich echt nicht mehr nach draußen«, sagt Barbara Lau. Eine Woche ist es jetzt her, dass ein Schüler der Seemannsschule auf dem Priwall ihr drohte, sie »abzustechen«. Eine Email aus der Handwerkskammer lässt Zweifel daran aufkommen, dass dort solche Vorfälle wirklich ernst genommen werden.
Den Anfang nahm die Geschichte mit einer Bierflasche, die eine Gruppe Jugendlicher am vergangenen Mittwoch (25.11.2020) gegen 22:00 Uhr auf die Mecklenburger Landstraße geworfen hatte. Barbara Lau war zu diesem Zeitpunkt mit ihrem Hund in der Mecklenburger Landstraße Gassi. Auch ihr Sohn war dabei. Sie habe die offenbar angetrunkenen jungen Männer aufgefordert, die Scherben aufzusammeln, erzählt Barbara Lau. Was dann für Worte fielen, zitiert ihr Ehemann Sven Lau in einer Email an Thomas Baehr, den Leiter der Berufsbildungsstätte Travemünde (BBT): Es seien Aussagen wie »Ich stech Dich ab und danach Deinen Krüppelköter«, »Ich fick Dich Du Schlampe, Du Hure....« und gegenüber seinem Sohn die Worte »Ich fick Deine Mutter und dann stech ich sie ab« gefallen, schrieb Sven Lau und schloss: »Es ist unfassbar, was da passiert ist. Meine Frau ist total verängstigt. Nur Ihr Rückzug hätte seiner Meinung nach verhindert, dass die Androhung körperlicher Gewalt in die Tat umgesetzt werden konnte.
Die BBT recherchierte und da der Vorname des Pöblers an dem Abend gefallen war, konnte er nach BBT-Angaben schließlich festgestellt werden. »Inzwischen wissen wir, dass es sich definitiv um Schüler der Seemannschule handelt«, schrieb Thomas Baehr. Die dortige Schulleitung hätte mit einer Abmahnung reagiert.
Sven Lau bedankte sich in einer weiteren Mail für die Bemühungen, machte aber deutlich, dass ihm die Abmahnung nicht genüge und er Strafanzeige erstatten wolle. Die Mail ging zur Kenntnis auch an mehrere Vertreter der Handwerkskammer in Lübeck. Woraufhin Geschäftsführer Dietmar Scharmacher zurückschrieb: »Sechs Fehler in einem Satz – hoffentlich gibt er sich bei der Strafanzeige mehr Mühe.«
»Ich hoffe nicht, dass Sie sich über mich lustig machen wollen«, antwortete nun Sven Lau und bat um Erklärung der Mail. Woraufhin sich der Geschäftsführer entschuldigte: »Ich möchte mich bei Ihnen entschuldigen. Die Reaktion war unangemessen. Die Mail war ein Irrläufer«, schrieb Dietmar Scharmacher. Laut Adressverzeichnis der HWK ist er Gechäftsführer sowie Leiter der Berufsbildungsstätten bei der Handwerkskammer.
In der ohnehin schon angespannten Stimmung zwischen einer Anwohnerinitiative (TA berichtete) und den Berufsschulen auf dem Priwall sorgt der Vorgang nun für weitere Empörung. Ein Gesprächstermin war erst am Mittwoch geplatzt (TA berichtete). TA
»Sicher festgestellt werden kann, dass Schüler der SHS an dem besagten Abend auf dem runden Platz vor dem Schulgelände in der Wiekstraße eine Ruhestörung verursacht und Flaschen zerschlagen haben. Ebenso sind zwei Schüler unter Missachtung des Kohortenprinzips in die Aufenthaltsräume der Handwerkskammer gegangen. Beide Vorfälle wurden von den jeweiligen Schülern zugegeben. Sie haben Abmahnungen erhalten, die auch an ihre Ausbildungsbetriebe geschickt wurden und dort zu Konsequenzen geführt haben. Da viele der betreffenden Auszubildenden noch in der
Probezeit sind, müssen sie nun um ihren Ausbildungsplatz fürchten. Das ist das schärfste Mittel, das in dieser Situation zur Verfügung stand. Entsprechend haltlos ist der Vorwurf, hier sei nicht ausreichend reagiert worden. Ein Verweis aus dem Internat konnte nicht mehr erteilt werden, weil die Schüler am selben Tag wie geplant die Schule verließen.
Die Beleidigungen und Bedrohungen wurden von den Schülern vehement abgestritten, auch trägt keiner von ihnen oder den anderen an unserer Schule befindlichen Schülern den Namen, auf den in Ihrem Bericht hingewiesen wird.
Vor dem Hintergrund konnte für diesen Vorfall kein Schüler eindeutig verantwortlich gemacht werden. Hier weiter zu ermitteln ist im Falle einer Anzeige Sache der Polizei – zumal die Schüler sich mittlerweile wieder an ihren Heimatorten befinden.
Den Ärger der Anwohner über wiederkehrende Belästigungen kann ich verstehen. Grundsätzlich möchte ich aber bemerken (und würde mich sehr freuen, wenn auch das in Ihrem Artikel Erwähnung findet), dass 90 % unserer Schülerinnen und Schüler individuell unterschiedliche, aber sozial denkende und verantwortungsbewusste junge Menschen sind, mit denen zu arbeiten große Freude macht. Schwarze Schafe wird es immer geben.
Wir tun, was wir können, um sie zu disziplinieren, aber alle 12 Wochen kommen neue Auszubildende an die SHS und unsere Erziehungsarbeit fängt von vorne an. Unser Einfluss ist begrenzt, denn was im Elternhaus 18 Jahre lang versäumt wurde, können wir in wenigen Wochen nicht aufarbeiten.«
Ulrike Calm, Stellvertretende Schulleiterin, 04.12.2020