ORTSGESCHEHEN 1 58
Travemünde 30.11.2020
Wenn es Nacht wird auf dem Priwall
Betrunkene Jugendliche bringen Anwohner um den Schlaf

Im Sommer, erzählen die Dührkops, geht es ab 17:30 Uhr los, im Winter eine Stunde später. Dann stünden die Jugendlichen am Fenster und rauchten, dann hören sie das Ploppen der Flaschenverschlüsse. Dazu die Musik: »Aus dem Fenster hörst du Heino und aus dem nächsten Fenster hörst du Heavy Metal«, sagt Holger Dührkop. Und morgens der Müll und die Bierflaschen im Garten. Er ist der Meinung, dass in der Berufsschule eine Null-Promille-Grenze gelten müsse, und zwar im Blut. Dann könne auch draußen nicht getrunken werden. »Die sind nicht mehr Herr der Lage«, sagt Anita Dührkop. Es gehöre Wachpersonal her. Ihr Ziel: »Dass endlich da mal Frieden ist. Auf jeden Fall, dass da ein System reinkommt.«
Am anderen Ende der Wiekstraße wohnen Sandra und Volker Martel. Dort sammeln sich gern Gruppen. »Wenn richtig krach ist, dann werde ich hier drei- bis viermal die Nacht wach«, erzählt Sandra Martel. »Und das zieht sich hin bis morgens um drei, manchmal sogar noch länger«. Der Lärm ist für sie das Schlimmste, und das geht schon abends los: »Du sitzt auf dem Sofa, hast die Fenster zu und bist live dabei. Das ist wirklich anstrengend«, sagt sie. Und in zweiter Linie sorgt sie sich um die jungen Leute »wegen der Kifferei«, sagt sie. »Da kommst du manchmal hier raus und denkst du stehst in Amsterdam im Coffeeshop«. Immerhin soll es jetzt weniger geworden sein, weil durch die Corona-Krise nicht so viele Berufsschüler auf dem Priwall übernachten. Und der Vandalismus sei auch weniger geworden, auch wenn vor ein paar Wochen jemand über das Auto des Nachbarn gelaufen sei. Der Wagen hätte ordentlich Beulen gehabt und das Ganze sei auch angezeigt worden, sagt Sandra Martel. »Aber die kriegt man ja nicht.«
Ein Platz, an dem die Schüler Alkohol trinken und ihre Musik laut hören dürfen, sollte ihrer Meinung nach auf dem Gelände der Schule sein und nicht woanders. »Damit der Alkoholkonsum nicht ausartet sollten Alkoholtests gemacht werden«, sagt Sandra Martel.

Das sieht auch Frank Thierfeldt so: »Die sollen einen Alkoholtest machen vor Unterrichtsbeginn. Und wenn das Ding anfängt zu piepen, die gleich rausschicken, nach Hause«, sagt er. Thierfeldt wohnt an der Mecklenburger Landstraße, hört die Schüler, wenn sie nachts von der Priwallfähre zur Schule wollen. »Unsere guten Schlafzeiten haben wir während der Ferienzeit«, sagt er. »Ansonsten kannst du davon ausgehen, jede Nacht.«
Eigentlich hätte er einen guten Schlaf. »Und wenn ich schon wachwerde, das heißt schon was.« Sachbeschädigungen hat er auch schon erlebt: Mal wurde ein Gartenstuhl auf sein Autodach gestellt, mal der Verschlag für die Mülltonnen zerstört.
Auch wenn sich nicht alles den Berufsschülern nachweisen lässt ist doch auffällig, dass die Betroffenen immer wieder bestätigen, während der Schulferien sei Ruhe.
Die Berufsbildungsstätte hat Anita Dührkop mittlerweile einen Gesprächstermin angeboten. Etliche Mitglieder aus der WhatsApp-Gruppe sind an einer Teilnahme interessiert, erzählt sie. TA
Nächtlicher Lärm und Vandalismus in Verbindung mit starkem Alkoholkonsum: Berufsschüler sorgen mit ihrem Freizeitverhalten für Verärgerung bei Anwohnern auf dem Priwall. Neu ist, dass die sich organisieren (siehe Bericht oben). Die Schulleitung spricht von einer Beschwerde.
»Uns liegt tatsächlich eine Beschwerde vor«, teilt Thomas Baehr, Leiter der Berufsbildungsstätte Travemünde, auf Nachfrage mit. »Mit der Beschwerdeführerin befinden wir uns aktuell im Gespräch«, so Baehr. »Wir bedauern die angesprochenen Ruhestörungen und den Vandalismus außerordentlich. Aktionen, die auf unserem Gelände stattfinden beziehungsweise aus unserem Gästehaus heraus verursacht werden, nehmen wir uns jederzeit an. Hier hilft der direkte telefonische Kontakt mit unseren Mitarbeitern in der Rezeption.« Im öffentlichen Raum sind dem Schulleiter zufolge die Ordnungskräfte zuständig.
Zu den Aussagen von Anwohnern, dass die Vorfälle auf die Schulzeiten begrenzt sind und in den Ferien Ruhe herrsche, gibt die Schulleitung den Hinweis, »dass wir als Berufsbildungsstätte auch in den Schulferien über einen Betrieb verfügen.«
Damit ist es aber vermutlich nicht getan: Die Beschwerden haben inzwischen auch die Politik erreicht. »Meiner Meinung nach muss die Schulleitung handeln«, sagt der CDU-Ortsverbandsvorsitzende Thomas Thalau. Er wird den Sozialpolitischer Sprecher der CDU Dr. Carsten Grohmann eingeschaltet, der das Thema im Sozialausschuss der Stadt ansprechen soll. TA
Die Berufsbildungsstätte Travemünde (BBT) ist die größte Bildungseinrichtung des Handwerks in Schleswig-Holstein, sie wurde Anfang der 1980er Jahre in Betrieb genommen. Die zum Teil noch minderjährigen Lehrlinge kommen aus unterschiedlichen Handwerksberufen wie zum Beispiel Kfz, Glaserei, Augenoptik und Nahrungsmittel. Die Jugendlichen kommen aus ganz Schleswig-Holstein und zum Teil auch anderen Bundesländern. Für Übernachtungen stehen laut Internetauftritt der Schule 430 Internatsplätze zur Verfügung. »Nach dem Unterricht beziehungsweise den Lehrgängen wird ein täglich wechselndes Freizeitprogramm geboten«, wirbt die Schule. Es stünden »eine Sporthalle, ein Fitnessraum, ein Kino mit aktuellem Sky- Programm, eine Kegelbahn, ein kostenfreier Fahrradverleih und ein Freizeitbereich mit Tischtennis, Billard und Tischkicker zur Verfügung.« Aufgrund der Pandemie ist das Gästehaus derzeit aber nicht voll belegt. Teilnehmer aus der Region werden gebeten möglichst zu pendeln. »Minderjährige und Teilnehmer aus anderen Bundesländern werden bei der Vergabe der zur Verfügung stehenden Betten bevorzugt.« Weitere Infos gibt es auf der Internetseite der Lübecker Handwerkskammer www.hwk-luebeck.de TA
TA-Lesetipp zum Thema: Das Thema Berufsschule auf dem Priwall wird nicht zum ersten Mal diskutiert, wie zum Beispiel ein TA-Artikel aus dem Jahre 2014 zeigt: Priwallbewohner: »Wir waren auch mal jung, aber…« Dauerthema: Besucher der Schulen und immer wieder Ärgerliches (30.10.2014)