KUNST & KULTUR
Travemünde 27.03.2011
Timmendorf Calling!
Travemünder Künstlerin verabschiedete sich am Samstag aus der Alten Vogtei
Die Abschiedsrede von Anja Es im Wortlaut:
Bye bye, Vogtei
Drei Jahre und 12 Tage ist es her, dass ich mit feuchten Achselhöhlen und klopfendem Herzen diese Räume in der Alten Vogtei eröffnet habe. Was, wenn hier niemand Kunst braucht? Wenn es schon genug Unterhaltung gibt oder hier was ganz anderes gefragt ist? Wenn ich hier falsch bin?
Aber die Räume waren ein Traum, Travemünde ist schön und den mutigen gehört die Welt. – Und ich hatte Glück: Niemand gab mir das Gefühl, hier falsch am Platze zu sein und die Travemünder empfingen mich mit großer Freundlichkeit.
Von Anfang an waren meine Vernissagen und Performances gut besucht, wenn nicht ausverkauft und selbst schwierige Gastkünstler wurden mit großem Interesse empfangen. Die Schlampen waren ganz in ihrem Element und fanden eine Menge Bewunderer und Verehrerinnen. Meine »Mörder« waren – genau wie ich selbst – angemessen berüchtigt und gefürchtet und mit dem Farbrausch habe ich zum Beispiel in Zusammenarbeit mit dem inzwischen leider aus der Vogtei ausgeschiedenen Carsten Thom und seinen Weinen so Manchen berauscht. – Mit Carsten habe ich ja auch die legendäre, wie luxuriöse Kreuzfahrt mit der Priwall-Fähre unternommen, an der sich die halbe Travemünder Geschäfts- und Kulturwelt beteiligt hat.
Mit HEIMAT habe ich die Travemünder im neblig-dunklen November regelmäßig in Depressionen gestürzt und im Februar mit der Liebes-Lesung wieder zum Leben erweckt. – Und immer sie an meiner Seite, standen voll hinter mir oder haben sich – ich erinnere an letzten Februar – sich vor mich gestellt. – Das war toll und dafür danke ich allen, die dabei waren.
»Ganz schön mutig« war als Überschrift bei meiner Eröffnung in vielen Presseartikeln zu lesen und je öfter ich das damals gelesen habe, desto mehr sank mir der Mut. Heute, nach unzähligen, weiteren Artikeln über meine kunstvollen Machenschaften freue ich mich, dass ich auch in mageren Zeiten immer Zuspruch bekommen habe. Es wurde so viel über mich und die Kunst geschrieben, dass ich schon bald »weltberühmt in Travemünde« war. Trotz toller Titelfotos als neues, Travemünder Busenwunder oder Bildern mit einer Frisur wie ein aufgeplatztes Sofa (danke, Helge) war die Berichterstattung so umfangreich und positiv, dass ich manchmal schon gefürchtet habe, die Travemünder könnten das große Gähnen kriegen, wenn sie mich irgendwo sehen.
Aber andererseits bin ich hier, am Ende der Vorderreihe und in der ersten Etage ja nicht so einfach zu finden und ohne Presse wäre ich wohl gänzlich untergegangen. An dieser Stelle also ein dickes, fettes, rosarotes Danke an alle, die immer und immer wieder gekommen sind, die geschrieben, fotografiert und interviewt haben, was das Zeug hält.
Denen und allen Leuten gegenüber, die mich so interessiert und wohlwollend begleitet haben, fühle ich mich irgendwie schlecht.
Jetzt die Kurve zu kratzen kommt mir schofelig und undankbar vor.
Aber ich weiß, dass Sie eine Eigenschaft in sich tragen, die Voraussetzung für Kunstempfinden ist und die ich jetzt für mich in Anspruch nehmen möchte: Einfühlungsvermögen.
Die Alte Vogtei ist ein wunderschönes Gebäude und ich habe immer gesagt: »Hier gehe ich erst raus, wenn Schloss Versailles anklopft.«
Nun – jetzt hat es angeklopft und zwar ausgesprochen überraschend und kurzfristig. Erst Mitte Februar kam das Angebot, Pächterin der Trinkkurhalle in Timmendorfer Strand zu werden und alle, die diesen Glaspalast am Meer kennen, werden verstehen, dass ich ja mit dem Klammerbeutel gepudert sein müsste, wenn ich diese Chance nicht nutzen würde. – Und für alle, die jetzt meinen, ich würde der Schicki-Szene hinterher hecheln: Gucken Sie mal aus dem Fenster. Der hässliche, grüne Corsa mit 235.000 km auf der Uhr ist meiner. Immer noch, seit drei Jahren. – Auch eine Künstlerin kann von Ruhm und Ehre nicht satt werden.
Darüber hinaus könnte man jetzt noch über das Lübeck-Desaster lamentieren, über Schnarchnasen aller Art, Widrigkeiten in Menschengestalt oder den langen Winter. – Will ich aber nicht. Ich habe getan, was ich konnte, Sie habens mitgemacht und wir hatten eine kunstvolle Zeit.
… die nicht zu Ende sein muss, denn ich bin ja nur sechs Kilometer weiter. Auch dort werde ich es bunt treiben und starte mit den gleichen weichen Knien wie hier. – Um so mehr würde ich mich freuen, ein paar bekannte und geliebte Gesichter zu sehen, die mir den Anfang etwas leichter machen. Am besten, Sie kommen gleich zur Eröffnung am 2. April, also in 6 Tagen. Wir würden uns sehr freuen.
Wir, das sind Renate Maria Müller und ich. – Wer Frau Müller kennt, weiß, dass ich ohne sie keinen Fuß nach Timmendorf setzen würde, denn sie kennt sich aus, mit feinen Damen und habenden Herren.
Außerdem unterstützt mich Matthias Stohanzl, denn irgendwann muss ich ja auch mal malen, schreiben und auftreten.
Sollten Ihnen sechs Kilometer immer noch zu weit sein, können Sie mich auch zu Ihnen kommen lassen. – Ich bin mit allen Programmen und Ausstellungen zu buchen. – Das war schon immer so aber vielleicht merken es die Travemünder jetzt eher.
Für mich wäre das ein Klacks, denn ich bleibe ja hier wohnen.
Sie sehen: Ist alles gar nicht so schlimm.
Dennoch verstehen wir, dass so manch einer sich Luft machen will und das ist der eigentliche Anlass von »Schüß in schwarz«.
Wir sind hier, um jede Art von Geheule, Verwünschungen, Vorwürfen, Abschiedsreden oder sogar guten Wünschen entgegen zu nehmen. Sie dürfen mit Eiern werfen, solange Sie nicht die Bilder treffen oder uns mit Blumen überschütten, sich auf den Boden schmeißen oder beleidigt abziehen – oder: Einfach mitkommen. – am 2. April um 14 Uhr in die Trinkkurhalle!
Am 15. März 2008 hatte Anja Es ihr Atelier aus Sandesneben nach Travemünde verlegt (TA berichtete) und rasch erfuhren Travemünder Kunst-Interessierte, wer und was »Die Schlampen« sind und dass es in der Künstlerei regelmäßig neue Werke von hochklassigen Künstlern zu sehen gibt.

Man könnte jetzt »über das Lübeck-Desaster lamentieren, über Schnarchnasen aller Art, Widrigkeiten in Menschengestalt oder den langen Winter«, sagte Anja Es heute. »Will ich aber nicht. Ich habe getan, was ich konnte, Sie habens mitgemacht und wir hatten eine kunstvolle Zeit.« TA



1 http://www.anja-es.de