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Travemünde 08.07.2018
Blamage: Ministerpräsident moderiert vermeintlichen Guinness-Buch-Rekord

Statt im international vertriebenen »Guinness World Records Buch«, laut Wikipedia der »bedeutendsten Sammlung von Rekorden«, erscheint der Travemünder Versuch im Buch »Weltrekorde made in Germany, Österreich, Schweiz«. Ersteres erscheint seit 1955, letzteres seit 2016.
Zwar hat Olaf Kuchenbecker, der in Travemünde mit seinem »Rekord-Institut für Deutschland« den »Weltrekord« bestätigte, laut Firmenseite auch mal für das Guinness-Buch gearbeitet, doch diese Zeiten sind lange vorbei. Seine »Weltrekordzentrale« findet man laut einem Bericht der »Hannoverschen Allgemeinen Zeitung« (Link unten) in einem »rekordverdächtig kleinem Büro« in Hamburg. Warum sich Bewerber an ihn wenden, erklärt der Bericht auch: Meist seien ihre Ideen für Guinness in London nicht interessant genug.
Daran ist soweit nichts Ehrenrühriges: Für Kleinstadt-Veranstaltungen bieten solche selbst erstellten Listen eine gute Möglichkeit, in die Lokalzeitung zu kommen. Dass ein amtierender Ministerpräsident dafür den »Hamburger Veermaster« anstimmt, ist da schon ein beachtlicher Coup.
Einen Vorwurf müssen sich allerdings die Travemünder Shanty-Veranstalter machen lassen: Sie haben zwar nicht direkt mit dem »Guinness Buch der Rekorde« geworben, andererseits aber auch nichts unternommen, um mit dem Irrtum aufzuräumen. Im Gegenteil: Auf der Homepage der Veranstaltung wurde von dem Versuch gesprochen, ins »Buch der Rekorde« zu kommen. Und das verbinden die meisten Leser sicher eher mit dem »Guinness World Records Buch« als mit dem ganz anders lautenden Titel »Weltrekorde made in Germany, Österreich und der Schweiz.«
Auch auf der Veranstaltung wurde hörbar nichts unternommen, um den Irrtum aufzuklären: »Wir versuchen heute, wie schon gesagt worden ist, mehr als 1850 Sängerinnen und Sänger zusammenzukriegen, um ins Guinness-Buch der Rekorde zu kommen«, erklärte der Moderator am Samstag (07.07.2018) über Lautsprecher. Etliche Lokalmedien glaubten das und feierten am darauffolgenden Tag den vermeintlichen Eintrag ins Guinness-Buch.
Gelegenheit, die Sache richtigzustellen, hätte es auch im Vorfeld der Veranstaltung genug gegeben: Schon im Veranstaltungskalender der städtischen Marketinggesellschaft (LTM), der den Veranstaltern immer noch zur Korrektur übersandt wird, ist zu lesen, dass in Travemünde »der Weltrekord aus dem Guinness Buch der Rekorde geknackt« werden soll. Der Kalender wird von vielen Medien veröffentlicht, so dass sich die Falschinformation vervielfältigte.
So blamierte sich am Wochenende die Schleswig-Holsteiner und Lübecker Politik mit Schwärmereien über die vermeintlich große Ausstrahlung der Veranstaltung dank des Eintrags ins »Buch der Rekorde«. Von einem »großen Ereignis« war gar die Rede.
Zitate aus Politik und Verwaltung zum vermeintlichen Guinness-Eintrag:
- »Wir haben den Weltrekordversuch wirklich erfolgreich bestanden und haben jetzt die Chance, ins Guinness Buch der Rekorde zu kommen«, Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günter (CDU) im Interview mit HL-live.de
- »Der Weltrekord ist gelungen! … Damit gibt es einen Eintrag ins Guinness Buch der Rekorde! Herzlichen Glückwunsch!«, Lübecks Bürgermeister Jan Lindenau (SPD) im sozialen Netzwerk »Facebook«.
- »Ein Ansporn ganz anderer Art ist der Versuch des Travemünder Shantychor-Festivals, den Guinness Rekord zu brechen mit dem größten Shantychor der Welt«, Lübecks Kultursenatorin Kathrin Weiher (Parteilos) in einer Schrift zum »Interkulturellen Sommer«.
Auch viele teilnehmende Chöre waren in dem Glauben angereist, für einen Eintrag ins Guinness-Buch dabei zu sein. Das ist auf den verschiedenen Internetseiten der Chöre nachzulesen.
Dabei reichen die 2.308 Shanty-Sänger aus Travemünde offenbar gerade einmal zu einem Bruchteil an den echten Weltrekord heran. Auf der Internetseite des Hamburger Seemanns-Chores jedenfalls ist nachzulesen, dass es in der Hansestadt an der Elbe bereits in den Jahren 1996 und 1998 den größten Shantychor der Welt gegeben habe. Mit 16.000 Sängern. Und echtem Eintrag ins Guinness Buch. TA
Externe Links zum Thema: Artikel über die Hamburger »Weltrekordzentrale« auf haz.de, Bericht über den »Größten Shantychor der Welt« auf der Seite des Hamburger Seemannschores, Pressemitteilung der Kulturbühne vom Januar 2018 in der vom »Guinness-Buch der Rekorde« gesprochen wird.