KUNST & KULTUR 1 22
Travemünde 24.12.2025
Ein Lichtschein am Meer
Eine kleine Weihnachtsgeschichte
Hannes zog seinen Schal fester um den Hals und blieb am Strand stehen. Der Leuchtturm war bereits erleuchtet, sein warmes Licht spiegelte sich im feuchten Sand. Jedes Jahr kam er an Weihnachten hierher, seit er denken konnte. Früher an der Hand seiner Eltern, später allein. Travemünde war für ihn kein Urlaubsort, sondern ein Versprechen: dass manches bleibt, auch wenn sich vieles verändert.
Vom Priwall her tönte das dumpfe Horn der Fähre. Ein paar letzte Spaziergänger waren unterwegs, ihre Schritte hinterließen flüchtige Spuren im Sand, die der Wind sofort wieder verwischte. Hannes lächelte. Genau das mochte er an diesem Ort. Nichts musste festgehalten werden, alles durfte gehen.
Er setzte sich auf eine Bank nahe der Promenade, dort, wo im Sommer Eis verkauft wurde und Kinder lachten. Jetzt hing ein schlichter Tannenzweig über dem Fenster, geschmückt mit einer Lichterkette, die sanft flackerte. Jemand hatte eine Kerze angezündet und daneben einen handgeschriebenen Zettel gelegt: »Für alle, die heute nicht allein sein wollen.«
Hannes zögerte, dann zündete er eine weitere Kerze an. Er dachte an die Menschen, die fehlten, und an jene, die neu in sein Leben getreten waren. An Abschiede und Anfänge, die sich manchmal kaum unterscheiden ließen. Das Meer rauschte gleichmäßig, als würde es zuhören.
Da begannen in der Ferne die Kirchenglocken zu läuten. Ihr Klang legte sich ruhig über den Ort, getragen vom Wind, weich und klar zugleich. Hannes hob den Kopf. Für einen Moment blieb er stehen und lauschte, als wäre das Läuten ein leiser Ruf.
Ohne lange zu überlegen, machte er sich auf den Weg zur Kirche. Das Licht aus den Fenstern fiel warm auf das Kopfsteinpflaster. Als er eintrat, empfing ihn ein wohliges Getuschel und leises Flüstern. Familien rückten enger zusammen, ältere Ehepaare saßen Hand in Hand, andere Menschen suchten noch ihre Plätze. Jacken raschelten, Kinderstimmen wurden sanft zur Ruhe gemahnt, irgendwo lachte jemand gedämpft.
Hannes setzte sich in eine der hinteren Reihen. Um ihn herum warteten sie alle auf den Beginn der Messe, auf die vertrauten Worte, auf diesen einen Moment im Jahr, der alle für eine Weile zusammenführte. Er atmete tief ein. Hier war er nicht allein.
Über Travemünde lag nun ein sanftes Leuchten. Kein großes Wunder, kein lautes Fest. Nur das Meer, die Glocken und das leise Leben in der Kirche und das Gefühl, dass Weihnachten manchmal genau dort beginnt, wo Menschen gemeinsam still werden.
TA















