POLITIK 6 66
Travemünde 13.07.2019
Ist Travemünde noch zu retten, Herr Haase?
Das große Interview zum Verkehrskonzept
- TA: Herr Haase, fangen wir mal mit einem Zitat von ihrem Kollegen Ulrich Krause von der CDU an: »Wir haben über Jahre und Jahrzehnte hinweg unser Straßennetz vernachlässigt«, hat er kürzlich bei »Radio Travemünde« gesagt. Nun muss das alles nachgeholt werden. Da stellt sich doch die Frage: Wer hat da versagt?
- Heino Haase: Die Unabhängigen können Herrn Krause zustimmen. Möchten aber hinzufügen, dass die Politik und die Verkehrsplanung insgesamt versäumt hat gleichzeitig mit dem Tourismusentwicklungskonzept 2020 die verkehrliche Infrastruktur zu planen. Der Fokus wurde von der Politik auf das Ziel gerichtet 2020 den Gästen ca. 8000 Betten anbieten zu können. Das Versäumnis der Verkehrsplaner ist unverzeihlich nicht gleichzeitig den Verkehr auf die anwachsende Zahl von Gästen auszurichten. Ebenso die zunehmende Zahl von Tagesgästen nicht eingeplant zu haben. Der Priwall wird vom Verkehr geradezu vergewaltigt.
- TA: Im Gneversdorfer Weg dreht sich die Diskussion weniger um den Zustand der Straße als um die Sicherheit vor allem der Radfahrer. Der abmarkierte Streifen stadteinwärts hat die Ängste offenbar nicht beseitigt. Ist für diese Zufahrtsstraße überhaupt eine Lösung möglich?
- Heino Haase: Der abmarkierte Streifen wurde mit der Begründung geschaffen, gegenläufigen Radverkehr wegen Unfallgefahr zu unterbinden. Tatsächlich jedoch hat sich an der Unfallhäufigkeit nichts geändert. Das liegt an der dilettantischen, verantwortungslosen Ausführung. Es ist auch eine Unmöglichkeit, dass ein Radweg im Nirgendwo endet und der Radfahrer entweder auf dem Fußweg (mit Unfallgefahr durch zu hohe Begrenzungssteine) oder unfallträchtig, bzw. als Bremser auf der Straße bleibt. Generell verursachen große, nahe überholende Fahrzeuge Angstgefühle. Die Lösung wäre die Wiedererlaubnis des gegenläufigen Verkehrs mit einem Geländer als Barriere das dazu zwingt die Vogteistraße an einem weiter straßeneinwärts gelegenen Überweg zu benutzen. Auch die geplante Ampelanlage könnte eine Lösung sein.
- TA: Großprojekte wie Priwall-Waterfront oder das Quartier am Baggersand sind seit Jahren beschlossen und zum Teil schon gebaut, während das Verkehrskonzept immer noch nicht fertig ist. Bei politischen Veranstaltungen ist da oft der Vorwurf zu hören, dass hier der zweite Schritt vor dem Ersten gemacht wurde. Wie sehen Sie das?
- Heino Haase: Die Unabhängigen werfen den seinerzeitigen Politikern (von denen immer noch viele aktiv sind) Mutlosigkeit und mangelnde Weitsicht vor. Die Verwaltung arbeitet auf Weisung der Politik. Sie hat sich stets nur von einem Bauprojekt zum nächsten gehangelt, ohne einen Gesamt-Verkehrsentwicklungs-Plan zu erarbeiten. Möglicherweise liegt es auch daran, dass unter dem SPD Bürgermeister Herrn Saxe die Bauverwaltung fast handlungsunfähig gespart wurde.
- TA: Die Hafengesellschaft weigert sich, den Baustellenverkehr vom Baggersand über die alte Strecke am Skandikai fahren zu lassen (von der zweiten Zufahrt nach Travemünde mal ganz abgesehen). Hat die Stadt bei ihrem eigenen Unternehmen nichts zu sagen?
- Heino Haase: Den Eindruck könnte man haben. Ob die LKW durch das Gelände des Skandikai fahren dürfen oder nicht, hängt davon ab ob die Entscheidungsbefugnis beim Leiter der LHG liegt (der sich weigert, mit dem Hinweis auf den ISPS_Sicherheits-Code), oder bei der Stadt als Gesellschafter. Der Bürgermeister, als Chef der Gesellschafterversammlung LHG, hat eine Prüfung in Aussicht gestellt. Bis jetzt ist nichts entschieden. Die Unabhängigen schließen sich der Forderung des Ortsrates an, den Abtransport des Bodenaushub durch den Skandikai zu leiten. Es geht auch um die Frage der Sicherheit im Gneversdorfer Weg, speziell um die Einmündung Gneversdorfer Weg/ Travemünder Landstraße und der Radfahrer auf dem abgetrennten Radweg.
- TA: Wir erleben einen Boom an Bürgerbeteiligungs-Veranstaltungen, was den Unabhängigen ja gefallen müsste. Dr. Michael Wiemann von den GRÜNEN hat dazu im Wochenspiegel gesagt: »Die Frage bleibt, was von den vielen Ideen und Beiträgen umgesetzt wird.« Wie sehen Sie das? Haben wir ein Umsetzungs-Problem?
- Heino Haase: Bürgerbeteiligung ist einer der DNA der Unabhängigen. Bürgerbeteiligung, richtig angewendet, könnte der Verwaltung viel Zeit sparen. Die Unabhängigen sind der Überzeugung, die Bürger vor Ort kennen sich in der Regel besser aus als der Planer am Schreibtisch. Örtliches, praktisches Wissen muss mehr in die Planung einfließen. So könnte man durch ein Losverfahren z.B. 4 Bürger auswählen, die dem Planer zur Seite stehen. Hervorragende Beispiele wie so etwas funktioniert, kann man nachlesen. Der Planer ist oft Theoretiker der im Hinterkopf politische Vorgaben der dominierenden Parteien, Regelungen und gesetzliche Vorschriften hat und dabei die Praxis aus den Augen verliert. Das mag auch ein Grund sein, warum Ideen und Beiträge nicht umgesetzt werden. Bei einer Verzahnung Planer und gelosten Bürgern wäre der Leerlauf geringer und die Zufriedenheit der Bürger höher. Auf diese Weise wäre das Mobilitätskonzept wahrscheinlich nicht in den Ausschüssen und der Bürgerschaft gescheitert.
- TA: Ein anderer Politik-Kollege von Ihnen hat halboffiziell gesagt, das Geld für die Veranstaltung »Lübeck ÜberMORGEN« hätte man lieber in eine neue Ampel für die Unfall-Ecke Gneversdorfer Weg/Vogteistraße stecken sollen …
- Heino Haase: Naja, sarkastisch betrachtet braucht der Bürger eine Placeboveranstaltung. Ich glaube jedoch, dass die Bauverwaltung es ernst damit meint die Bürger zu befragen. In der Verwaltung verjüngt sich das Personal und die Führung. Damit einher geht unsere Hoffnung eines Sinneswandel und eine tatsächliche Umsetzung. »Lübeck ÜberMORGEN« betrachte ich als eine Bürgerbefragung, nicht als –beteiligung.
- TA: Wenn in der Vorderreihe tausende Menschen unterwegs sind, ist die Straße vom Erleben her eine Fußgängerzone. Was würde die geplante Umwandlung ändern, außer diesen Zustand zu legalisieren?
- Heino Haase: Eine Umwandlung der Vorderreihe in eine Fußgängerzone hat weitreichende Änderungen gegenüber der jetzigen Regelung zur Folge. Sie darf nicht erfolgen. Kfz und alle anderen Fahrzeuge, incl. Fahrräder, e-Scooter usw., wäre die Befahrung verboten. Parken ebenso. Und das 12 Monate im Jahr. Diesen Zustand will das Mobilitätskonzept ab 2020 festschreiben. Eine Fußgängerzone ist Präferenz der Stadtplaner. Jedoch war bereits 2015 die Mehrheit der beteiligten Bürger gegen diese Lösung. Daran hat sich nichts geändert. Die Unabhängigen sind für die Beibehaltung der jetzigen Regelung mit zusätzlichen Schildern, die gegenseitige Rücksichtnahme anmahnt.
- TA: Die Parkpaletten am Godewind sollten, so hieß es jedenfalls mal in einem Ausschuss, gebaut werden, bevor das Projekt hochgezogen wird. Das ist nicht passiert. Beim Parkhaus Lotsenberg ist der Investor bedauerlicherweise während der Planungsphase verstorben. Wie seriös ist es, überhaupt noch mit diesen zusätzlichen Parkplätzen zu rechnen? Und bringen ein paar dutzend zusätzliche Parkplätze überhaupt eine spürbare Entlastung in Zeiten des Massentourismus?
- Heino Haase: Die Stadt hatte mit dem Grundstück in Super1A-Lage in großes Pfand in der Hand. »Du kannst das Grundstück kaufen, jedoch mußt du dich vertraglich verpflichten eine Parkpalette zu bauen und zu betreiben«. Die Verwaltung und Politiker haben es versäumt sich gerade hinzustellen. Die KWL will nur bauen, wenn die Stadt das erwartete Minus ausgleicht. Diese lehnt das ab. Die Parkpalette Lotsenberg ist immer noch in Planung. Die Verwirklichung scheitert zur Zeit an den ökonomisch nicht darstellbaren Forderungen des Liegenschaftsamtes. Die 2 Parkpaletten sollen zusammen 670 Fahrzeuge aufnehmen. Selbst wenn die Wohnstraßen von den dort widerrechtlich parkenden Fahrzeugen befreit wären, würde die Kapazität von 2800 Parkplätzen (incl. der 2 Parkpaletten) ausreichen. Bei Großveranstaltungen gibt es 2 sogenannte »Überlaufparkplätze«.
- TA: »Park & Ride« ist ja als Lösung von den GRÜNEN wieder ins Gespräch gebracht worden und zuletzt auch von Ali Alam. Warum sollten Besucher sich darauf einlassen, statt mit dem eigenen Auto in den Ort reinzufahren?
- Heino Haase: Es ist sehr schwierig Menschen von Gewohnheiten abzubringen. Deswegen müssen wir mit der jetzigen Situation und Infrastruktur zurecht kommen. Langfristig sind auch die Unabhängigen dafür, die Hauptparkplätze an den Ortsrand zu verlegen und mit autonom fahrenden, kurzgetakteten, über eine App anforderbare Kleinbusse, einen Shuttleservice zu organisieren.
- TA: Das Thema »Parkchaos« in der Kaiserallee war ja letztes Jahr schon im Ortsrat angesprochen worden, muss also auch Senator Hinsen längst bekannt gewesen sein. Nach den Bildern von vorletztem Sonntag soll es nun mehr Kontrollen geben. Man könnte den Eindruck bekommen, dass die Verwaltung erst dann handelt, wenn sie sich nicht mehr wegducken kann…
- Heino Haase: Es wird von dem verantwortlichen Senator Hinsen ein sehr schlechtes Signal ausgesendet, wenn von ihm rechtsfreie Räume in Travemünde geduldet werden. Nach Auffassung der Unabhängigen ist ein massives Durchgreifen mit Abschleppen angezeigt. Knöllchen bewirken überhaupt nichts. Herr Senator Hinsen muß Farbe bekennen !
- TA: Herr Haase, ist Travemünde noch zu retten?
- Heino Haase: Die Frage impliziert ein Untergangsszenario. Travemünde geht keineswegs einem Untergang entgegen. Im Gegenteil. Es wird immer mal wieder Spitzenzeiten sowohl bei dem Aufkommen an Fußgängern als auch Fahrzeugen geben. Damit müssen wir leben. Für die Travemünder und die Gäste wären jedoch noch weitere Zeitvertreibe notwendig als lediglich »große Pötte bestaunen«. Dabei kann man, auf dem Stuhl zurück gelehnt, nicht auf den Investor von Waterfront warten. Es muss verstärkt an Familien mit Kindern gedacht werden. Wir fordern Qualität statt Quantität. Auch für die Travemünder. Mehr Blumen und ein gepflegteres Erscheinungsbild würde Travemünde sehr gut tun. Travemünde ist eine schöne Stadt die besonders mit der Beschaulichkeit und Entschleunigung als Erholungsfaktor punkten kann.
ENDE