KUNST & KULTUR
Travemünde 12.11.2017
Ein Tornado in Travemünde
Arnulf Rating als schlagfertigster Politkabarettist in der Kulturbühne
Derweil hat er fast die Bühne erreicht. Das Saallicht wird abgesenkt, und auf der Bühne hat er fast Mühe, gegen die hellen Spotscheinwerfer »anzugucken« um seine Begrüßung und die Ansage für den Künstler fortzusetzen. Zum ersten Mal seit den vielen Abendenden wiederholt er sich selbst wie er immer und immer wieder mit diesen Worten, ja eigentlich mit dieser Zeremonie, jeden Abend eröffnet. Fast Wehmut fließt in diese Worte, denn die Zahl solcher Auftritte von ihm ist nun überschaubar klein geworden und die Kulturbühne geht immer mehr dem Ende entgegen und eine Fortführung ist nicht in Sicht.
So hebt er um so deutlicher die letzte Veranstaltung hervor, die Auskehrparty am Sonntag, dem 17.12.2017 um 19:30 Uhr. Damit sind es noch 7 Abende bis zum letzten Mal im Kulturbahnhof das Licht ausgeht. Das Publikum hört diese Worte, doch es scheint, als würde man sie gar nicht so recht zur Kenntnis nehmen wollen. Der Meister verlässt die Bühne, nicht ohne den Auftritt des Künstlers mit einem spannenden Fragenzeichen zu versehen.
Nun denn, es vergehen Minuten bei voll beleuchteter Bühne bis klar ist, dass der Umstand eines verspätet eintreffenden Künstlers, der sich durch den Flur zur Bühne hetzt, schon Teil seines Programmes ist. Und der Künstler Arnulf Rating fegt fort an mit der scharfen Zunge über die Bühne des Hafenbahnhofes wie er mit seinem neuen Programm »Tornado« wieder über die Bühnen der Republik fegt. Es zeigt sich schnell, dass Rating als einer der wortgewaltigsten, originellsten und schlagfertigsten Politkabarettisten Deutschlands gilt. Er wurde mit den wichtigsten Kabarettpreisen ausgezeichnet, zuletzt mit dem Hessischen Kabarettpreis für sein Lebenswerk. In allen einschlägigen Kabarettsendungen des deutschen Fernsehens ist er zu sehen, am liebsten in »Die Anstalt« vom ZDF.
Doch live vor Publikum aufzutreten ist seine Leidenschaft. Mit Biss, Spott und Ironie kommentiert Rating das politische Geschehen. Als Grundlage dienen ihm Überschriften aus Zeitungen. Rasant springt er von einer Schlagzeile zur nächsten. Zur Überraschung des Publikums zieht er aber erst mal ein Brathähnchen aus seiner Reisetasche, das er mampfend und redend zugleich auf der Bühne vernascht. Dabei wird er die gesamte Breite bissiger Kommentare los, die ätzend über das herunterrieseln, was an herber Kritik über katastrophale Zustände der Herstellung unserer Lebensmittel je geäußert wurde.
Vorbereitet ist er auch auf den Standort Lübeck und Travemünde. Einleitend zur kabarettistischen Generalabrechnung mit dem Parteiensystem in Deutschland wirft der Beamer die Wahlergebnisse der letzten Bundestagswahl an die Wand. Wegen des hohen Wahlergebnisses der FDP in Travemünde richtet er sogleich die Frage an sein Publikum, ob denn die Travemünder alle Hotelbesitzer seien. Man versteht im Publikum sogleich, was gemeint ist: die Liberalen und die wie ein Goldregen auf die Hotelbesitzer herunterfallende Herabsetzung der Umsatzsteuer.
Und so fegt der Tornado weiter durch das Land: Rating ist unschlagbar in seinem Element. Und das ist unterhaltsam, abwechslungsreich und erfrischend politisch unkorrekt. Das Publikum ist mitgenommen von diesem politischen Teilchenbeschleuniger der mit seinen geistig-intellektuellen kabarettistischen Böen das ihm lauschende Volk zu höchsten Anstrengungen animiert, ihm zu folgen.
So geht man in die Pause und hat erst einmal verdrängt, dass es einen solchen Abend wie diesen von nun an nicht mehr geben wird. Andere Höhepunkte werden noch folgen, jeder für sich ein lohnender Abend. Doch der Abschied schwebt bereits wie eine Drohne über dieser herausragender Kleinkunst, für die Travemünde und der Strandbahnhof ein Begriff und kulturelles Alleinstellungsmerkmal wurde. PM/KEV
Fotos Karl Erhard Vögele