KUNST & KULTUR
Travemünde 06.03.2016
Mia Pittrof: Ganz schön viel Landschaft
Das besondere Kabarett im Travemünder Kulturbahnhof
Nun ist im Kulturbahnhof offengeblieben, ob die Künstlerin sogar eine Oberfränkin wäre. Auch läßt sich der Satz nicht ganz auf sie übertragen, denn der gilt ja im genderdefizitären Bayern nur für die Männer. Ein literarischer Kraftakt, einen Reim auf Oberfränkinnen zu entwickeln, steht im bayerischen Kulturbetrieb noch aus. Um aber der Linie zu folgen, dass aus Franken immer etwas Besonderes kommt, mag dieser kleine Ausflug ins Landsmännische ausreichen. Auch in den zahlreichen Kritiken findet sich der Umstand des besonders fränkischen wieder.
So setzt die Künstlerin Mia Pittroff ihre Dialektwaffe des fränkischen Zungenschlages mit einem nur selten so ausgefeilt hörbaren rollenden »R« ein. Intelligent entwickelt sie kaum merklich ihren gewinnenden Charme. Musikfans erinnert ihr gesamtabendliches Kunstwerk an die Sonatenform, mit langsamer Einleitung, einem Hauptthema – später mit ausgiebigen Variationen – und einem Seitenthema. Es gibt deutliche Generalpausen, die dem Publikum Zeit zum Reflektieren lassen, dann nimmt das Tempo über das Allegro bis hin zum Presto zu, um sich dann zwischendurch wieder einem Seitenthema zu widmen. Und das war wohl das kleine Geburtstagsgedicht für ihre Mutter zum 65. Geburtstag.
Ausladend ließ sie das Publikum an dem live handgeschriebenen Entwurf teilhaben. Dann aber ging es Schlag auf Schlag. Mit dem Scan des Alltäglichen fördert sie Hochpolitisches zu Tage und die Politik entkleidet sie der verbal hochgezüchteten Statements und offenbart ihre Trivialität (»Wenig zu sagen, aber davon sehr viel«). Wie hautnah sie als Wahlberlinerin am quirligen Zeitgeist längsschruppt, zeigen ihre soloartigen scheinbar aus dem Stegreif entwickelten Improvisationen zu aktuellen Hashtags wie QR-Codes, Smoothies, eBiker, Sportrentner, Handy, Lactose, Apothekenumschau, Gesichtserkennungs-App, Tätowierungen (ein Karpfen auf der Wade) oder tibetische Fußklangschalen.
Zwischendurch eine Lesung mit literarischer Qualität. Dann ihr Facebook-Lied. Das Publikum folgte ihr mit knisternder Konzentration. Ein Abend, der Ungewöhnliches brachte und gezeigt hat, dass es auch für das besondere Kabarett ein dankbares Publikum in der Stadt an der Trave gibt. KEV
Fotos Karl Erhard Vögele