GESCHICHTE
Lübeck/Travemünde 21.01.2016
Lübeck 1945 – Katastrophe und Neubeginn
Viele waren gekommen, um den Vortrag »Lübeck zur Stunde 0« von Wolf-Rüdiger Ohlhoff bei »Kaffee & mehr« im Gesellschaftshaus des Gemeinnützigen Vereins zu Travemünde zu hören. Waren doch die meisten der Zuhörer in einem Alter, um sich noch selbst an diese Zeit erinnern zu können. Wolf-Rüdiger Ohlhoff hat sich mehr als 2 Jahre Zeit genommen für aufwändige Recherchen und Befragungen. Besonders schwierig war es, an Bildmaterial zu kommen, denn unmittelbar nach Kriegsende war es bei der Androhung hoher Strafen verboten zu fotografieren. Er bekam es schließlich aus englischen Quellen. Dort waren Bilder der englischen Soldaten archiviert.
Rüdiger Ohlhoff holte zur Vorgeschichte etwas aus, spielte Tondokumente aus der Nazizeit ab, so die berühmte Rede Hitlers »…seit 5.45 Uhr wird zurück geschossen« und auch Göbbels Rede »…wollt ihr den totalen Krieg«. Der Vortrag war sehr umfassend angelegt, so dass in der ersten Veranstaltung von «Kaffee und mehr« Teil 1 und später im November Teil 2 folgen wird.
Eindrucksvoll schilderte Ohlhoff den ersten Luftangriff der aus Richtung Neustadt anfliegenden Sterlingbomber auf Lübeck, die Landung der Alliierten und die Zeit, als Lübeck zur freien Stadt erklärt wurde, um die Hilfssendungen für kanadische Kriegsgefangene aus Göteborg kommend zu verteilen. Das hatte zur Folge, dass es auf Lübeck keine Luftangriffe mehr gab. Die britischen Besatzungsmächte marschierten ein und das Leben blieb weit von jeder Normalität. Schlagworte wie Schwarzhandel, Hungersnot, erste Lübecker Nachrichten 1946, steigende Flüchtlingszahlen aus dem Osten: erst 80.000 Flüchtlinge, später 100.000 Flüchtlinge, die in 49 Flüchtlingslagern untergebracht waren, einschließlich Zwangseinweisungen in private Wohnungen.
Mit Lebensmittelkarten wurde das notwendigste auf die hungernde Bevölkerung verteilt. Es gab den »Kohlenklau!«, die beste Währung waren Zigaretten, es folgte die Entnazifizierung, Reisegenehmigungen für Fahrten mit der Bahn im Umkreis von 60 Kilometer waren notwendig. Es entwickelte sich ein Suchdienst für vermisste Familienangehörige, Wasser war an öffentlichen Zapfstellen zu holen und Autos fuhren mit Holzvergaser.
In den 5 Flüchtlingslagern in Pöppendorf wurden täglich 1.500 Personen durchgeschleust, Care-Pakete kamen aus den USA und in den Klassen der Schulen waren bis zu 80 Kinder. Nach der Währungsreform ging es aufwärts, es begann wieder das Kulturleben, das »Wirtschaftswunder« bahnte sich an, in Lübeck fuhr wieder die Straßenbahn. Großen Beifall gab es an diesem Punkt, denn hier war der erste Teil der hervorragend recherchierten Geschichte Lübecks nach dem Kriege zu Ende.
Am 16. November geht es dann weiter mit dem Schwerpunkt der Geschehnisse in Travemünde. Bleibt noch nachzutragen wie Rüdiger Ohlhoff seinen Vortrag bei Schülerinnen und Schülern an Lübecker Schulen erlebte: es wäre während der ganzen Zeit mucksmäuschenstill gewesen. Und manche Parallele zu heute wäre deutlich geworden. KEV
Fotos Karl Erhard Vögele