VERANSTALTUNGEN
Travemünde 21.09.2014
Das Schweigen des Lammert – die Politik geht, die Provinz kommt
Das Berliner Top-Kabarett »DISTEL« im Kulturbahnhof in Travemünde
Theaterchef Wolfgang Hovestädt begrüßt gut gelaunt sein bis auf den letzten Platz besetztes Haus. Drei Mal in Folge sei der Kulturbahnhof ausverkauft. Und dafür wolle er sich beim Publikum gehörig bedanken. Dann schloss er seine schon für die Kürze bekannten Begrüßungen mit den Worten »Bitte kommen Sie alle gerne wieder«. Und dann ging es gleich polternd los. Denn die Provinz ist auf dem Marsch nach Berlin und will dort mit der Politik Tacheles reden.
Und das hat seinen Grund: Als Ehmte-Bahnhof, eine 250 Seelen Gemeinde in Schleswig-Holstein, beim Bundeswettbewerb »Unser Dorf soll schöner werden« nach einer kontroversen Nachtsitzung der Jury gegen das bayrische Oberspüttelshofen verliert, steht das ganze Dorf Kopf. Oberspüttelshofen hat mit unsauberen Mitteln gearbeitet. Landesmittel wurden eingesetzt, die CSU hat im Hintergrund Fäden gezogen.
So geht es nicht! Drei Dorfvertreter machen sich sofort auf nach Berlin. Die Merkel muss wissen, was an der Basis passiert. Und bei der Gelegenheit kann man auch ein paar andere dringende Missstände ansprechen. Da hat sich schon eine Menge Ärger angestaut.
Das Dreigespann kann unterschiedlicher nicht sein: Werner Lindskötter ist Lehrer und Oberstudienrat. Bei ihm landet stets der ganze Kummer, wenn in Berlin ein Sparpaket beschlossen wird. Außer über die Steuererklärung kommt der Bürger ja nur noch beim Elternsprechtag mit dem Staat in Berührung. Dann setzt er prophylaktisch die Zeugnisnoten immer etwas höher. Cornelius Millermann ist Unternehmer und Sprecher der Güllepumpen produzierenden Industrie. Er will einen Rettungsfond auch für seine Branche. Hacki ist der neue Wirt vom »Honky Tonky«, der einzigen Rockkneipe weit und breit im deutschen Norden. Als Wirt hat man sowieso eine ganz andere Draufsicht auf die Dinge.
Die drei Landeier waren noch nie in Berlin! Das Ganze entpuppt sich als Odyssee. Allein in die Stadt zu kommen, scheint schon am kaputten öffentlichen Fern- und Nahverkehr zu scheitern. Sie treffen einen Banker, der die Anarchie auf den Finanzmärkten als Kalkül der 68er erklärt. Sie diskutieren mit einem Demoskopen, der inzwischen versteht, warum sich die Wähler nicht an seine Wahlprognosen halten. Bei ihren Besuchen in den Häusern der einzelnen Parteien lässt man sie abblitzen und in der Schlange vorm Reichstag gerät ihre Revolte schließlich in eine Warteschleife. Sie verstehen, dass die Politik irgendwo zwischen Ausschüssen, Parteien und anderen Gremien feststeckt. Doch dann gelingt es ihnen, zu Lammert vorzudringen, der kurzzeitig ein sich auferlegtes Schweigen bricht.
Eine witzige Politposse mit tagesfrischen Stichproben aus einer entpolitisierten Politik. Verantwortlich für Buch und Regie ist Martin Maier-Bode, künstlerischer Leiter des Kabarett-Theaters, der in diesem Programm auch als Darsteller auf der DISTEL-Bühne zu sehen sein wird. PM DISTEL/KEV
Alle Fotos Karl Erhard Vögele