VERANSTALTUNGEN
Niendorf 29.06.2013
Der Niendorfer Hafen wurde zum Mekka der Jazzfans
Der Auftakt am Freitag wurde unter freiem Himmel gefeiert. Nicht vor dem Open Air-Zelt, sondern gegenüber, direkt bei der Evers-Werft. Die Mannen der Top Dog Brass Band lockten viele Zaungäste an, so dass das Durchkommen schwierig wurde. Fröhliche Klänge ohne großen Aufwand waren zu erleben. Als Verstärker beim Singen oder Sagen diente die in den Boden gerammte gute alte Flüstertüte. Nach einer Stunde holte Nils Landgren, seit 2012 Leiter von JazzBaltica, die »Marching Band« ab, die fröhlich in die große Werfthalle einzog. Auf der Bühne begrüßte Landgren dann eine Institution. Von Anfang an, seit 1991, gibt es das JazzBaltica Ensemble. In jeweils anderer Zusammensetzung präsentieren sich Freunde der improvisierten Musik. Landgren begrüßte natürlich auch das Publikum. »Ich bin sicher, dass es toll wird«, sagte er und fügte hinzu: »Ich habe die Musik ja schon gehört.« Er dankte den Eigentümern der Werft, der Gemeinde Timmendorfer Strand und seinem Vorgänger Rainer Haarmann, der zusammen mit Björn Engholm vor mehr als 20 Jahren die Idee realisierte, Jazz aus den Ostseestaaten und darüber hinaus nach Schleswig-Holstein zu holen. Das JazzBaltica Ensemble 2013 entpuppte sich stilistisch als besonders vielfältig, gut vorbereitet und trotzdem in den improvisierten Teilen frei und locker. Ein auffallendes äußerliches Zeichen: In der Gruppe spielten weit mehr Frauen als Männer, und zum ersten Mal in der Geschichte dieses Festivals saß auch eine Frau am Schlagzeug, Lisbeth Diers.
Danach trat das von dem deutschen Bassisten Dieter Ilg gegründete Trio auf. Dessen Programm war mehr als ungewöhnlich. Ilg hat Richard Wagners Bühnenweihfestspiel »Parsifal« studiert und für seine Gruppe mit Rainer Böhm am Klavier und Patrice Héral am Schlagzeug zu einem Dutzend Jazz-Variationen umgearbeitet. Für strenge Wagnerianer mag der Gedanke schrecklich klingen. Aber nur wirklich große Musik verträgt solche Transformation. Die Musik von Bach wurde vor Jahrzehnten erfolgreich verswingt (Play Bach, Jacques Loussier), und beim diesjährigen SHMF ist eine Breakdance-Veranstaltung angekündigt, ebenfalls zur Musik von Johann Sebastian Bach. Dieter Ilg hat übrigens seine Wagner-Version der Intendantin der Bayreuther Festspiele angeboten; für 2014 oder 2015. Eine Antwort steht noch aus, erzählte er.
Ab 22 Uhr gehörte die Bühne der Bigband von Samuel Jon Samuelsson. »Ich freue mich besonders auf die zehn verrückten Isländer«, sagte eine Frau in der Pause. Die Band tritt nicht im Zehnerpack auf, sondern in viel größerer Besetzung. Bis zu 20 Musiker sorgen für Stimmung. Auch in Niendorf. Chef Samuel, ein ausgezeichneter Posaunist, tänzelte, hüpfte, dirigierte vor seiner Gruppe und animierte das Publikum zum Mittun. Funky Jazz in verschiedenen Variationen erklang. Die Band hat gleich drei ausgezeichnete Bläser-Sektionen, jeweils drei Trompeten, Saxophone und Posaunen. Apropos Posaunen: Als »special guest« wurde zu vorgerückter Stunde Nils Landgren begrüßt. Da schlug die Stimmung noch um einige Wellen höher. Nicht nur mit der berühmten roten Posaune trat Landgren in Erscheinung. Er griff auch zum Gesangsmikrofon. Am heutigen Sonnabend geht es in Niendorf weiter, von 11 Uhr bis in die frühen Stunden des Sonntags. Aber erst Sonntag gegen Mitternacht ist die zweite JazzBaltica direkt am Ostseestrand zu Ende. TD HL-Live
Alle Fotos Karl Erhard Vögele