MEDIEN
Travemünde 20.05.2013
100 Jahre Wut und Enttäuschung:
Rolf Fechners Kommentar zur Eingemeindung Travemündes nach Lübeck

Fechner zeigt auf, wie das gekaufte Seebad Travemünde von Lübeck immer weiter zurechtgestutzt wurde. Und dass die Travemünder von Anfang an nicht begeistert waren von der Sache, vielmehr herrschte schon vor 100 Jahren »Wut und Enttäuschung.« TA
von Rolf Fechner
Am 01. April 1913 wurde Travemünde als »Stadtteil Kurort und Seebad Travemünde« in Lübeck eingemeindet: Ziel sollte eine effektivere Verwaltung sein.
Das war allerdings nicht die »Stunde Null«, denn schon vorher gehörte Travemünde zum Staatsgebiet der Freien und Hansestadt Lübeck. Wie kam Travemünde denn überhaupt zu Lübeck? 1187 wurde Travemünde von dem Holsteiner Grafen Adolf III., zunächst als Wehrturm, gegründet. Lübeck hatte aus strategischen und wirtschaftlichen Gründen allerdings schon lange ein Auge auf den Besitz der Travemündung geworfen. 1329 war es dann soweit: nachdem Lübeck zunächst die Burg von Graf Johann III. von Holstein abgekauft hatte, kaufte Lübeck ihm auch den Ort Travemünde mit allen Rechten ab.
Damit können wir schon mal festhalten: leibliche Tochter Lübecks kann Travemünde ohnehin nicht sein. Damit ist der Slogan »Lübecks schönste Tochter« schlicht falsch.
Außerdem ist der Begriff »Tochter« schon deshalb unpassend , weil es – wie alle Ortsnamen – »das Travemünde« heißen müsste. Die Begriffe »Stadtteil«, Ortsteil«, Ort sind alle maskulin. Lediglich »die Stadt« oder »die Gemeinde« haben einen weiblichen Artikel.
Einigen wir uns also auf »Adoptivkind«: Travemünde kam durch Kauf zu Lübeck. So etwas kennen wir ja auch aus der Gegenwart: Madonna und »Brangelina« kaufen auch Kinder, um sie zu adoptieren. Denen geht es dann aber wirtschaftlich immer besser als vor der Adoption.
Gehen wir mal davon aus, dass die Adoptivmutter ihr Adoptivkind nicht schlechter als »ihr eigen Fleisch und Blut« behandeln muss. Trifft das auch im Verhältnis Lübeck zu Travemünde zu?
Die folgenden Beispiele habe ich dem vom Archiv der Hansestadt Lübeck herausgegebenen Buch von Thorsten Albrecht »Travemünde Vom Fischerdorf zum See-und Kurbad« entnommen. Als Quelle dürfte dieses Buch daher der Polemik Lübeck gegenüber unverdächtig sein:
Den Travemünder Handwerkern war es z.B. im Mittelalter untersagt, Aufträge in Lübeck anzunehmen. Die Lübecker Handwerker wollten, um einen Wettbewerb zu unterbinden, alles unter Kontrolle haben. Das durchzog sich durch alle Handwerksarten: So durfte z.B. in Travemünde nur Lübecker Bier verkauft werden, auch der Verkauf von Ochsen aus Travemünde durfte nur an die Lübecker Knochenhauer erfolgen.
Reglementiert wurden die Travemünder durch einen seitens Lübeck eingesetzten Vogt: Noch im 18. Jahrhundert verbot Lübeck den Travemündern den Handel mit ein- und auslaufenden Schiffen. Dieser Handel war allein den Lübeckern vorbehalten.
Der Fairness halber muß festgehalten werden, dass die Gründung der Seebadeanstalt 1803 ausnahmslos durch Lübecker Bürger erfolgte; möglicherweise wäre aber eine derartige Initiative durch Travemünder Bürger ohnehin wegen der Wettbewerbsverbote gescheitert.
1881 beschloss der Lübecker Senat ein Gemeindeordnung für Travemünde, wonach das »Städtchen« – das war damals die geläufige Bezeichnung – befugt war, seine Angelegenheiten selbst zu verwalten. Lange hatte Lübeck sich gewehrt, Travemünde und Lübeck mit einer Eisenbahn zu verbinden. Erst 1882 war es soweit, wobei der Stadtbahnhof, der später durch den Hafenbahnhof ersetzt wurde, so weit entfernt vom Travemünder Hafen gebaut wurde, dass dem Schiffsverkehr nach Lübeck durch den Bahngüterverkehr keine starke Konkurrenz entstehen konnte.
1913 dann der Schock für die Travemünder: Travemündes Kommunalverwaltung wird aufgelöst, Travemünde als Stadtteil in Lübeck eingemeindet. Die Travemünder reagierten mit Wut und Enttäuschung- nachzulesen in dem Buch »Otto Timmermann erinnert sich« im Kapitel »Der Ausrufer«.
Um die Travemünder zu beruhigen, gründete man die Behörde für Travemünde, die aus 3 Mitgliedern des Senats sowie 7 Deputierten bestand, wovon 4 in Travemünde wohnen mußten. Diese Behörde sollte Travemünder Interessen gegenüber Lübeck vertreten. Spätere Überlegungen, diese abzuschaffen, hat man aufgegeben , weil man um deren Durchsetzbarkeit fürchtete.
Erst 1937 lösten die Nazis die Behörde auf. Stattdessen wurde eine Kurverwaltung inTravemünde, deren Aufgabenbereich auf das Kur-und Badewesen beschränkt wurde, eingerichtet.
Die britische Besatzungsmacht richtete 1946 ein »Bezirksamt Travemünde« ein. Dieses wurde seitens der Lübecker Behörden 1951 abgeschafft und durch eine Kurverwaltung ersetzt.
Lange Zeit gab es in der Lübecker Verwaltung aber einen Travemünde-Senator, der Travemündes Interessen in Lübeck vertrat. Auch das ist Geschichte.
Aus der Kurverwaltung wurde dann der »Kurbetrieb«, dessen Aufgabenbereich nach und nach eingeschränkt, bisherige Kernaktivitäten wurden nach Lübeck verlagert. Nun soll auch der Kurbetriebsausschuss abgeschafft werden. »Doppelstrukturen« sollen abgeschafft werden. Die Wirkung solcher Synergieeffekte ist in aller Regel höchst zweifelhaft.
So behandelt man doch nicht seine »schönste Tochter«, auch wenn es sich dabei nur um ein adoptiertes Kind handelt.
Es ist ja nie zu spät, umzudenken: deshalb sollte der Kurbetrieb wieder aufgewertet werden, der Kurbetriebsausschuss bestehen bleiben und die Sonderstellung Travemündes durch eine für Travemünde zuständige Person in der Verwaltung gewürdigt werden. Auch muß der Ortsrat in einen echten Ortsbeirat umgewandelt. Das steht nicht nur in der Ortsratssatzung, der sich ja alle Ortsratsmitglieder verpflichtet fühlen sollten, sondern ist auch wirtschaftlich sinnvoll. Dieser Sachverstand kann in die Bürgerschaft eingebracht werden,und somit viele Fehlplanungen vermeiden helfen. Die Kosten für den Ortsbeirat hätte man dadurch schell wieder »drin«.
Damit nimmt man den anderen Stadtteilen auch nichts weg. Denn eine gesteigerte Attraktivität Travemündes führt auch zu wirtschaftlichem Wachstum Lübecks, das es dringend benötigt.