ORTSGESCHEHEN
Travemünde 30.04.2013
Wer kennt Fischer Wolf?
Ein Jungs-Abenteuer im Jahre 1961
»Herr Wolf hatte zu diesem Zeitpunkt in Travemünde mit seiner Frau gewohnt. Ich selbst war damals kurz in seiner Wohnung«, erinnert sich Harald Beyer. »Nach meiner Erinnerung war es ein Reihenhaus das am Rande von Travemünde – Richtung Lübeck lag. Bei meinen späteren Besuchen in Travemünde habe ich mal das Haus gesucht, aber leider nicht mehr gefunden.« TA
Harald Beyer hat einen Erlebnisbericht über seinen Travemünde-Besuch von 1961 geschrieben:
Was fasziniert einen Franken an der Ostsee?
Es ist die Weite der Landschaft, das faszinierende der See zwischen angenehmer Ruhe und wildem, ungestümen Wetter, und wahrscheinlich das Erlebte in meiner Jugendzeit.
Mein Vater war gebürtig aus Ostpreußen. Nach der Kriegszeit hat es den größten Teil der Verwandtschaft in den Raum um Lübeck/Travemünde und Lüneburg verschlagen.
Meinen Vater blieb als Einziger in Bayern bzw. in Franken. In meiner Jugendzeit verbrachte ich daher die Sommerferien bei den Tanten in Kücknitz (einem kleinen Vorort von Travemünde).
Der Fähranleger in Travemünde mit den großen Schiffen die nach Schweden oder Dänemark fahren, der Sandstrand in Travemünde, die Halbinsel Prival, die Fischkutter und der Fischmarkt mit den unzähligen Sorten Fisch, – einfach beeindruckend für mich.
So kommt es, dass ich mich mit meinen 14 Jahren bei einem Fischer, sein Name ist Herr Wolf aus Travemünde, erkundige wozu er das viele Eis, das er in seinem Kutter bunkert, benötigt? Wir benötigen es um den Fisch, den wir fangen werden kühl zu lagern.
Wann fahren Sie denn raus? »Morgen Früh um 4 Uhr« ist seine knappe Antwort.
Und wo fahren Sie zum Fischen hin? Antwort: »Richtung Bornholm«. Wie lange bleiben Sie weg? Antwort: » Zwei Wochen« So fragt er mich – »Das interessiert dich aber sehr!«
Ja- ist meine neugierige Antwort. »Wo kommst denn du her« ist seine Frage an mich: »aus Franken, in der Nähe von Nürnberg und ich verbringe meine Ferien bei Verwandten in Kücknitz. Ist Bornholm weit? »Ja- warum möchtest du wohl mitfahren?« »Kann ich den mit« frage ich? Wenn du Morgen Früh um 4 Uhr da bist, kannst du mit- sagt er in ruhigem Ton.
»Wirklich?« Frage ich ungläubig? Ja- morgen um 4 Uhr sagt er nochmals!
Mit dem nächsten Bus fahre ich schnellstens nach Kücknitz zu meiner Verwandtschaft.
Hier wartet mein Vater auf mich.
Du Papa, ich kann morgen Früh mit einem Fischkutter mitfahren. So erzähle ich ihm ganz aufgeregt meine Geschichte. »Der hat dir doch nur einen Bären aufgebunden« ist die Antwort meines Vaters. Nein- komm fahr mit mir nach Travemünde und frage ihn selbst.
Nach einem etwas zögerlichen Schauen fährt mein Vater mit mir nach Travemünde zuHerrn Wolf, dem Fischer und seinem Kutter.
Es gibt ein für mich entscheidendes längeres Gespräch zwischen meinem Vater und Herrn Wolf. Wir gehen alle Drei zur Hafenpolizei um uns nach den Formalitäten zu erkundigen. Wie alt ist ihr Sohn-14 Jahre? Hat er einen Ausweis- nein? Und- und- und. Alle Fragen kann mein Vater mit nein beantworten. »Wir raten von dem Vorhaben ab«- so die Hafenpolizei.
In mein Gesicht schießen die Tränen- und ich gehe aus dem Raum der Hafenpolizei.
Im Freien lasse ich meiner Endtäuschung freien Lauf. Kurze Zeit später verlassen Herr Wolf und mein Vater die Polizeistation. Der Fischer sieht mich traurig weinen und spricht kein Wort. Wir gehen zu dritt Richtung Fischkutter. »Ach die Behörden« beginnt er wieder sein Gespräch. »Also wenn sie wollen und es erlauben, kann ihr Sohn Morgen mitfahren.«
Ich denke, ich habe mit strahlendem Gesicht meinen Vater von einer Sekunde zur anderen angesehen. »Zwei Wochen bleiben wir aber weg« informiert er meinen Vater noch mal.
Ich weiß heute nicht mehr, ob ich in dieser Nacht geschlafen habe- ich denke- eher nicht.
Bei Morgengauen geht es los! Der Kapitän, zwei Fischer und ich als Smutje-zu viert geht es Richtung Norden. Beim Auslaufen sehen wir den dunklen unbeleuchteten Küstenstreifen der sich vom Prival entlang der damaligen DDR-Grenze zieht.
Nach langer Fahrt zum Fanggrund werden die Netze ausgelegt. Immer 3 Stunden werden sie nachgezogen um anschließend eingeholt zu werden. Fischerhose und Gummistiefel werden mir angepasst.
Beim ersten Einholen der Netze bleiben mir die Worte weg. Ein unwahrscheinlich dickes Knäuel voller Fische kommt da aus dem Meer. An Bord eingeholt zieht einer der Fischer am unteren Ende des Netzes die Schlaufe auf und von einer Minute zur anderen stehe ich mit meinen Gummistiefeln in einem Fischgewusel. Große –kleine –dicke –flache –Fische. Später lerne ich noch, welche Fischarten es sind. Am Anfang ist meine Aufgabe Kisten holen und Eis auf die ausgenommenen und sortierten Fische geben.
Mit einer Winde geht der Fang unter Deck und wird unten gestapelt.
Die Eindrücke die ich an diesem Tag habe – überwältigend.
So geht es immer und immer wieder. Der Fang ist laut Herrn Wolf nicht so gut. Am Grund der Ostsee liegen viele Schiffwracks aus dem 2. Weltkrieg und ab und zu verhakt sich das Netz am Grund in den Resten dieser alten Schiffe. Mit einem Ruck, den man auch an Bord verspürt, merkt man, wenn sich das Netz verhakt. Später müssen die Schäden am Netz immer wieder geflickt werden.
Nach einigen Tagen treffen wir uns auf offener See mit einem anderen Fischkutter.
Ich erfahre, dass es sich um den Bruder unseres Kapitäns handelt, der auch Fischer ist und in der DDR wohnt. Hier auf offener See treffen sich die Brüder immer wieder wenn sie unterwegs bzw. auf Fischfang sind.
Lebensmittel und Spirituosen werden ausgetauscht. Nach einem kurzen Plausch trennen sich wieder die Wege und der Fischfang wird wieder aufgenommen.
Das Wetter wird schlechter und bei dem Seegang läuft der Kapitän den Hafen im polnischen Kolberg an.
Er gibt mir zu verstehen, dass ich unter Deck bleiben soll, da ich ja keinen Ausweis bei mir habe. Eine Nacht bleiben wir hier im polnischen Hafen um am nächsten Tag weiter zu fahren. Irgendwo in der Ostsee, ob es vor oder nach Kolberg war ist mir nicht mehr in Erinnerung, kommen wir mit dem Fischkutter an den Rand eines Schussfeldes wo die Marine das scharfe Schießen übt. Es sind etliche Warntafeln die im Meer schwimmen vorhanden, aber irgendwie sind wir mit dem Kutter zu nahe am Schussfeld. Ehe wir uns versehen kommt mit hoher Geschwindigkeit ein Schnellboot auf uns zu und verbietet uns die Weiterfahrt. Im großen Bogen umfahren wir das Gebiet.
An Bord kann ich inzwischen auch die Fische ausnehmen. Dabei begleiten uns große Schwärme von Seemöwen. Die Fischleber wird extra sortiert und später auf Bornholm verkauft. An der dänischen Insel Bornholm läuft der Kapitän den Hafen Nexö an. Dank dem sehr schlechten Wetter bleiben wir drei Tage. Hier lerne ich ein Mädchen kennen. Der Vater war Tierarzt auf Nexö. Einen Teil der Insel lerne ich durch sie kennen. Mit einem geliehenen Fahrrad erkunden wir die nähere Umgebung der Insel.
Das Wetter hat sich beruhigt und wir fahren wieder Richtung Travemünde. Inzwischen sind wir schon länger als zwei Wochen auf See. Einem anderen Fischerboot, das früher nach Travemünde kommt, haben wir unser späteres Ankommen mitgeteilt. So wird mein Vater von der Verzögerung und unserem späteren Ankommen unterrichtet.
Voller Stolz bin ich, dass ich bei den schlechten Wetterbedingungen und dem Seegang nicht seekrank werde. Dagegen ist ein berufsmäßiger Fischer, der aus Hamburg stammt, davon betroffen.
Bei unserer Ankunft in Travemünde hat sich schon herumgesprochen, dass hier ein »Bayer« auf einem Fischkutter mitfährt. Einige Fischer stellten mir in Aussicht, dass ich das nächste Mal bei ihnen mitfahren soll. Dazu kam es aber leider nicht mehr.
Das Erlebte hat sich bis Heute in meiner Erinnerung festgesetzt. Als Hobby wird für mich in meinem späteren Leben aber das Segeln. In einem Segelverein lege ich die verschiedenen Prüfungen erfolgreich ab. Einmal im Jahr chartere und organisiere ich jetzt einen Segeltörn für meine Segelfreunde und mich.
Ijsselmeer, dänische Südsee, Westfriesische Inseln, Rügen + Hiddensee, natürlich Bornholm, Griechenland, Türkei, Kroatien- all das sind Gegenden die ich bis jetzt mit einer Segelyacht kennenlernen durfte.
Ich weiß nicht, ob ich das alles dem Erlebnis mit Herrn Wolf und dem Fischkutter zu verdanken habe. Aber eine Richtung für mein späteres Leben war es ganz bestimmt.
Harald Beyer