MARITIMES
Travemündes 14.07.2012
Passatchor auf großer Reise
Das Logbuch zum Nachlesen

Ein Million Gäste pro Tag (!) besuchen die Veranstaltung, immerhin das größte Treffen von Oldtimer-Segelschiffen weltweit. Dazu kommen 140 Shantychöre. Und die Travemünder mittendrin. Das Reise-Logbuch des Chores gibt es hier zum Nachlesen. TA
Aus dem Logbuch: Passat Chor on Tour
1. Teil: Mit der der Kruzensthern nach Brest
Von Hagen Scheffler
Die Idee
Zwei Männer und eine Idee. Chorleiter Stefan Fleck und Veranstaltungschef Thomas Thomsen vom Passat Chor entwickelten sie etwa zur Zeit des 100. Geburtstags der »Passat« im Mai 2011: Teilnahme am weltgrößten Traditionssegler-Treffen in Brest in Frankreich, wo alle vier Jahre über 2.500 Traditionssegler aus aller Welt und über 150 Shantychöre zusammenkommen. Der Chor stimmte sofort begeistert zu. Ein Jahr Zeit hatte man zur Vorbereitung. Ein kleines Organisationsteam beschäftigte sich mit der Ausarbeitung der Konzertreise. Eine zentrale Rolle spielte dabei Uwe Wilck, der des Französischen mächtig ist und auch zu Lufthansa gute Verbindungen besitzt, wichtig für die Rückreise. Doch der Clou ist die zünftige Hinreise: Thomas charterte dafür die Viermastbark »Kruzenshtern« (ex »Padua«), das letzte noch segelnde Schiff der legendären »Flying P-Liner« der Laeisz-Reederei, gebaut 1926, seit 1945 in russischem Besitz. Auch auf der zweiten Viermastbark »Sedov« wurden noch sieben Plätze gebucht. »Nützt ja nichts«, wie Thomas Th. zu sagen pflegt.
Bon Voyage
Den musikalischen Teil übernahm natürlich Chorleiter Stefan Fleck, der für die Konzertreise ein Programm von 23 Lieder, überwiegend Shanties natürlich, arrangiert und einstudiert hat.
Die Vorstellung und zugleich Generalprobe des Programms fand am Samstag, d. 30. Juni 2012, in der ausgebuchten Aula der Alten Stadtschule in Travemünde statt. Das Publikum klatschte begeistert und schwenkte enthusiastisch blau-weiß-rote Fähnchen, die Farben von Frankreich.
Und dann hieß es nur noch »Bon voyage!«
1.Tag: Sonnag, 08. Juli 2012 Transfer Travemünde -Bremerhaven-Weser
Blauer Himmel, warmer, leichter Südost, ein Sonntagsreisewetter, wie für den Passat Chor bestellt. Leinen los für die Fahrt nach Brest. Nach etwa vierstündiger Busfahrt ist der erste Teil des Transfers für die 48 Mann starke Reisegruppe geschafft. Unser Bus hält neben der »Kruzenshtern« auf der Pier in Bremerhaven. In Sichtweite liegt die »Sedov«, auf der sich sieben Chormitglieder einschiffen werden, da aus Platzgründen nicht alle zusammen auf die »Kruzenshtern« passen.
Einchecken an Bord in der Zeit zwischen 12 und 13 Uhr, sehr locker, und unkompliziert. Im Gewimmel der vielen Besucher verläuft die Aktion reibungslos. Die schweren Taschen müssen enge Niedergänge runtergewuchtet werden. Man hilft sich, manch lockeres Wort begleitet die eine oder andere Aktion. Alles wird gut!
Mittagessen in der Messe, der Platz für den Chor reicht so gerade aus. Erst Fischsuppe, dann Hähnchenkeulen mit frischem Salat und Reis. Mann oh Mann, wenn das so weitergeht! Die »Kruzenshtern« ist doch kein Kreuzfahrer!
17 Uhr Auslaufen. Zwei Schlepper, »Mars« und »Arion«, ziehen uns von der Pier in Bremerhaven und schleppen die »Kruzenshtern« in den Strom. Wenig später werden die Leinen gelöst, der nur kurzfristig an Bord gewesene Lotse steigt auf einen Schlepper über. Die Viermastbark fährt jetzt unter Maschine entlang der Hafenpiers die Weser stromabwärts Richtung Norden – mit der einsetzende Ebbe. Bremerhaven zeigte sich von seiner maritimen Vielseitigkeit und Modernität. Das Klimahaus, das Auswanderer-Museum von Andreas Heller (derselbe übrigens, der auch das Europäische Hansemuseum in Lübeck baut und einrichtet), der maritime Zoo sowie das Hotel, das an Burj-al-Arab in Dubai erinnert, wandern schnell achteraus. Vorbei geht es an einer Reihe von massiven , im oberen Teil gelb gestrichenen Stahlstelzen der Off-Shore-Windmühlen, die hier auf Abtransport und Montage in den Windparks warten. Dann die endlos lange Pier mit einer unübersehbaren Zahl von Containern. Die Pier ist dicht besetzt von Schiffen, die entweder Container löschen oder laden. Draußen in der Außenweser wartet ein ganzer Pulk von ca. 10 Ankerliegern wohl auf einen frei werdenden Platz...
Bewegung an Bord: Seekadetten wimmeln über Deck, Segel werden gesetzt, aber nur je ein Stagsegel zwischen den Masten. Die jungen Trainees laufen in langer Reihe über Deck und reißen die Segel an den Fallen hoch, stets unter dem wachsamen Blick der Bootsleute, die lautstark ihre Kommandos geben und manch einen Kommentar hinterher, wenn es nicht so klappt wie gewünscht. Schoten werden dicht geholt, Fallen und weiteres Tauwerk aufgeschossen. Dann werden die schweren Rahen in eine neue Position gebracht. Knochenarbeit! Man merkt es den ehrgeizigen jungen Leuten an, wie sie sich ins Zeug legen, wenn sie die dicken Stahlseile dichtholen.
Der Südost, der uns bisher begleitet hat, und auch der blaue Himmel haben sich schon verabschiedet. Von Westen drückt ein Gewittertief herüber und beschert uns am Nachmittag die erste Dusche. Es ist schwül warm, die Hemden kleben einem am Leib. Über den auffrischen Südwest ist so mancher ganz froh.
19.30 UhrAbendessen: Suppe vorweg, dann Fischfilet mit so einer Art Pommes und frischem Salat, als Nachtisch wird eine Tafel Vollmilchschokolade gereicht. Alles reichlich,gut und wohlschmeckend.
Um 21 Uhr gibt es Kino. An beiden Außenseiten der Messe hängen Bildschirme, auf denen wir per DVD Einblick über die »Kruzenshtern« und die Ausbildung an Bord gewinnen (mit deutschen Untertiteln). Der frühere Kapitän, der witzigerweise Oleg Sedov heißt, wird als leuchtendes Vorbild eines russischen Seemanns präsentiert. Man merkt ihm an, wie er seine jungen Seekadetten zu prägen in der Lage ist. Er legt in seiner Ausbildung großen Wert auf Gesundheit, Teamgeist und charakterliche Stärke. Unter seinem harten, aber gerechten und fürsorglichem Regiment wachsen die jungen Leute zu richtigen Seeleuten heran, die ihr Handwerk verstehen, auf die Verlass ist und die als Persönlichkeit gefestigt sind. Wie weit wohl die Wirklichkeit mit diesem Idealbild übereinstimmt? Wir kennen die Diskussion durch die tragischen Ereignissen auf der »Gorch Fock«.
Aus der heißen Messe flüchtet jeder noch einmal in die Frischluft an Oberdeck. Es feuchtet von oben, 6 Windstärken aus Südwest begleiten uns. Von achtern kommen diverse Schiffe auf, auch die »Sedov« ist an der Kimm in unserem Kielwasser schwach auszumachen.
Gegen 22.30 Uhr lässt der Kapitän die Stagsegel bergen. Kursänderung an von bisher etwa 345° auf Westkurs entlang der ostfriesischen Inseln. Der Starkwind legt zu, aber das Schiff liegt gut in der von Schaumkronen geschmückten Nordsee und verzeichnet keine größeren Rollbewegungen.
Der erste Messeabend endet für einige erst weit nach Mitternacht. Heiße Diskussionen über Auftrittstechnik und andere Themen des Chores erhitzen die Gemüter der letzten Aufrechten. Engagiert, hartnäckig, aber auch immer wieder humorvoll geht es zur Sache, und so manche Lachsalve rollt durch die aufgeheizte Messe, vor allem dann, wenn die Diskussion nicht mehr so recht vom Fleck will. Der (Wissens)Durst wird mit gut gekühltem Weißwein oder Bier bzw. mit wohl temperiertem Roten sowohl gelöscht als auch angeregt. Wie soll man da schlafen gehen? Und dann noch in die Massenquartiere, die mit sechs bis neun Mann belegt sind. Zu diesen »Pumakäfigen« mit ihren Doppelstockkojen und dem ständig laufenden »Miefquirl« bietet das aktive und so kreative Messeleben eine Zeitlang doch eine attraktive Alternative.
2.Tag: Montag, 09. Juli 2012 Fahrt durch die Nordsee
7 Uhr: Ohrenbetäubender Weckruf über die quäkende Bordsprechanlage, auch einige Informationen auf Englisch. Wir haben es inzwischen mit 15-16 m/sec zu tun, d. h. 7-8 Bft. aus Südwest, dazu Sprühregen. Der Blick durch das Bulleye bestätigt die Befürchtung: Himmel und Wasser im einheitlichen Grau – Sommer eben. Nur die Schaumkronen der Wellen blitzen durch den diesigen Vorhang. Die Sicht ist ziemlich eingeschränkt. Wer an Deck ist, findet vor der windigen und tropfenden Natur nur an wenigen Plätzen etwas Schutz, ein Leben wie unter einer Sprinkleranlage. Eine kleine Gratis-Lehrstunde für die Männer vom Passat Chor,wie es Seeleuten früher auf den Großseglern bei Wind und Wetter ergangen ist und was sich hier und da in den Shanties niedergeschlagen hat. Das haben auch die wenigen Sportaktivisten erleben dürfen, die dem donnernden Weckruf von.Heinz J. zum Frühsport um 06.45 Uhr gefolgt sind. Habe selbst die Wahl zwischen Turn- und Badehose nicht rechtzeitig auf die Reihe bekommen und deshalb die Auftakt-Sportveranstaltung leider versäumt.
Das Schiff liegt trotz der rauhen See relativ ruhig. Ein verhaltenes Auf und Ab führt zu harmonischen Wiegebewegungen, nichts Ruckartiges, kein Schleudergang. Trotzdem beschleicht den einen oder anderen ein mulmiges Gefühl. Zum Frühstück in der Messe erscheinen nicht mehr alle. Auch der große Pott Hafergrütze ist jetzt nicht so gefragt. Dabei wäre das doch eine sehr gute Grundlage, um mit den Schlingerbewegungen des Schiffes besser klarzukommen. Notfalls geht Hafergrütze so gut rein wie auch raus- ohne Kratzer und Brandspuren.
Das vorgesehene Vormittagsprogramm wird angesichts der Wetterlage gestrichen. Kein Aufentern in die Masten (freiwillig), keine Information über Wassereinbruch ins Schiff und entsprechende Gegenmaßnahmen. Keine Chorprobe. War also die Mitternachtsmesse-Besprechung für die Katz?
Die Zeit bis zum Mittagessen ist für jedermann frei. Erneute Messegespräche, Rauchen auf dem Achterdeck, Besuch auf der Brücke, Foto-Shooting – geschenkte Zeit. Manche Gedanken gehen an die Lieben daheim...Kapitän Mikael Novikow spricht von bis zu vier Meter hohen Wellen und von Böen in Sturmstärke. Strecktaue sind zur Sicherung über Deck gespannt, aber noch keine »Leichenfänger«. Doch die »Kruzenshtern« gleitet davon scheinbar unberührt majestätisch durch das schäumende Element.
11.30 Uhr Mittagessen: Erster Gang: Pilzsuppe, als Hauptgericht werden Hackbraten und frisches Gemüse von Tomaten und Gurken gereicht. Wer es abkann, isst mit gutem Appetit. Doch die Reihen sind etwas gelichtet, und der Appetit ist bei etlichen begrenzt. Stefan Fleck versucht für die Chorstunde am Nachmittag zu motivieren. Besonders Bass 1 ist gefragt, da er auf dieser Reise unterbesetzt ist. »Sollen alle drei auf einmal kommen,Stefan?« »Was machen wir, wenn wir 14.15 Uhr fertig sind?« höhnt eine andere Stimme aus dem Hintergrund. Doch Stefan, zünftig in Colani (und draußen mit Südwester), bleibt die Ruhe selbst und lächelt milde über die Spötter. Schließlich hat er die mitreisenden Gäste des Chores kurzentschlossen für den Bass 1 »dienstverpflichtet«.
Der Wind ist auf 6 Bft. zurückgegangen und kommt mehr aus West.
13.15 Uhr: Alle Mann auf Manöverstation. Die Rahen werden umgebrasst. Das ganze Wunderwerk aus Tauwerk, Drahtseilen, Blöcken, stählernen Rahen ist in Rotation. Die Bootsleute aus der Stammbesatzung brüllen gegen den Starkwind ihre Anweisungen. Hier wird gefiert, dort dichtgeholt- Hand über Hand. Auf der Brücke erklärt uns der Kapitän, dass er demnächst Segel setzen möchte, wenn wir quasi querab Terschelling sind. Können dann nach Süd abdrehen Richtung Kanal. Das Schiff macht zur Zeit nur einige Knoten Fahrt. Die Sicht ist deutlich besser geworden. An Steuerbord passieren wir eine Ölplattform. Von der »Sedov« ist nichts zu sehen. Der Kapitän meint, die Viermastbark sei wohl etwas weiter nach Norden ausgewichen.
Haben in kleiner »aufgebesserter« Besetzung Chorprobe für den Bass 1 in der Messe. Läuft für den Chorleiter ganz zufriedenstellend, auch wenn Klaus B. mit lockerer Zunge mehrfach einen kleinen künstlerischen Disput mit dem Chorleiter wagt. Kommunikation ist alles. Später reagiert Stefan Fleck vor dem gesamten Chor an Oberdeck offensiver und fasst sein künstlerisches Credo in den Worten zusammen: »Ihr sollt nicht denken, sondern nur singen!« Da der Wind weiter abflaut, werden die weiteren Chorproben auf das Oberdeck hinter der Brücke verlegt.
Um 15.20 Uhr wagt sich die Sonne allmählich wieder durch die Wolkendecke und beginnt sie aufzulösen. 15.30 Uhr gibt es Kakao und so eine Art Piroggen, die mit Sauerkraut gefüllt sind. Nicht jedermanns Sache, aber zumindest eine neue Erfahrung!
Gegen 18 Uhr: Alle Mann auf Manöverstation. Es werden einige Segel gesetzt: das Vorstengestagsegel, am Vortopp die Fock, die Stagsegel zwischen den Masten, am Großmast Unter- und Obermarssegel, außerdem noch das Unterbramsegel, am Kreuzmast Obermars- und Unterbramsegel und am Besanmast den Besan. Ganz schön viel Tuch! Steht der »Old Lady« sehr gut, auch wenn sie damit nur zwischen drei und vier Knoten macht. Aber wir sind jetzt für die nächsten Stunden eingetaucht in die Zeit der alten Segelschifffahrt. Wenig später ist der Himmel fast wolkenfrei. Blauer Himmel und die hohen Masten mit den weißen Segeln. Ein Traum geht für jeden von uns in Erfüllung. Die Männer genießen die zauberhafte Atmosphäre. So könnte es weitergehen bis nach »South Australia«, worüber ein Shanty aus unserem Programm handelt.
!9.30 Uhr Abendbrot in der Messe: Wie immer Suppe und dann das Hauptgericht, bestehend aus Fleisch, Kartoffeln und frischem, gemischtem Salat. Banane zum Dessert.
Wenig später schrillt erneut der Befehl »Alle Mann, klar zum Segelbergen!« durch die Decks. Alle Segel werden eingeholt, denn die Schiffsführung plant einen Kurswechsel Richtung Südwest. Die Rahsegel werden nicht festgelascht, da wir morgen wohl wieder segeln werden – hoffentlich.
3.Tag: Dienstag, 10. Juli 2012: von der Nordsee in den englischen Kanal
Das Wetter hat sich merklich beruhigt. Der Wind kommt aus WSW mit durchschnittlich vier Windstärken. Es ist wolkig, sonnig- einfach angenehm. Heinz J. merkt es an der steigenden Zahl der Frühsportaktivisten. Auch die Messe ist zum Frühstück um 7.30 Uhr wieder bis auf den letzten Platz besetzt. Wieder »Genesene« werden freudig begrüßt und mit fürsorglichen Essensvorschlägen bedacht. Wer den Schaden hatte, braucht für den Spott nicht zu sorgen. Nur Stefan F. ist etwas mit Zahnschmerzen leicht indisponiert. Auch hier gibt es unkonventionelle Ratschläge, die Doc Jörg St.einsammelt und als Vademecum neben Kamillentee (u.a.) weitergibt. Stefan liebt das Ungewöhnliche und verzehrt auch gern Kiwis mit Haut und Haaren (wg. der Vitamine), wie er es nachmittags beim Kaffee, der aber dann doch Kakao ist, demonstriert. Ein Naturbursche eben.
Am Vormittag gegen 09.30 Uhr wird von Hartmut W. ein Mundharmonika-Anfänger-Workshop angeboten, der von sieben Mann sogleich wahrgenommen wird. Die ersten Zeilen von »Hänschen klein« werden nur mit Mühe stimmig intoniert. Doch die Kakophonie des kleinen Orchesters hat auf jeden Fall einen durchschlagenden Erfolg erzielt: Unsere Büfett-Fee, Tatjana, hat vorzeitig die Messe geräumt, was sie sonst sehr ungern tut. Chorleiter Stefan F. hat sich inzwischen dank der unkonventionellen Behandlungsmethoden wieder zu uns gesellt und begleitet motivierend unsere Mundharmonika-Gehversuche mit der Vision seiner künstlerischen Authentizität: »Wer Hänschen klein« spielen kann, kann alles spielen.«
Klar, dass wir bei der nächsten Spezialsitzung wieder dabei sind.
Gegen 10 Uhr erwartet der Chor, vollständig und nach Stimmen sortiert, in der Messe eine Delegation der Seekadetten, die zusammen mit uns singen wollen. Denn heute ist der Ehrentag der Fischereifachleute, und die Seekadetten werden ja in dieser Richtung hier an Bord mindestens zwei Monate ausgebildet. Wir sind gespannt, was passieren wird, und stimmen uns mit »South Australia« schon ›mal ein. Dann sind sie da: ein Gitarrist , eine zierliche Sängerin und noch drei Kadetten als Backgroundsänger. Mit »My Bonny« geht’s gemeinsam los, dann versuchen wir es auch mit »Sailing,sailing«. Chrystian H.verstärkt die instrumentale Seite und versucht mit seinen russischen und Stefan mit seinen englischen Kenntnissen eine russisch-englische Kommunikation in Gang zu halten. Die Kadetten singen für uns noch einige schwermütige russische Lieder. Irgendwann kommt dann natürlich auch »Kalinka, Kalinka«, aber ohne begleitende Tanzschritte. Insgesamt ein schöner und sehr herzlicher Anfangserfolg!
Inzwischen haben sich auf dem Vorschiff die Kadetten zu sportlichen Wettbewerben versammelt, anfeuernde Musik dröhnt lautstark über Deck. Diverse Kategorien sind im Angebot wie Gewichtheben (Kugel mit Griff von 25 kg), Klimmzüge oder Liegestütze. Höchstleistungen und Bordrekorde werden entsprechend von den Fans bejubelt.
11.30 Uhr Mittagessen: Bohnensuppe, dann Gulasch, Nudeln und frischer Tomaten-Gurken-Dill-Salat. Kurz danach erhält der 1. Teil des Passat Chor-Logbuchs den redaktionell letzten Schliff, wird von Uwe W. auf einen Stick gezogen, mit einer Anzahl Bilder versehen und gelangt dann mit Genehmigung des Wachhabenden auf der Brücke in die Funkbude am Heck. Von dort werden die vorher konsultierten Medien informiert und ins Bild gesetzt.
Plötzlich sind sie da, die Kreidefelsen von Dover. Ein langes weißes Felsenband erstreckt sich auf Steuerbordseite, auch die kontinentale Gegenküste ist schemenhaft auszumachen. Durch diese Enge müssen sie alle, die vielen Schiffe, die diese verkehrsreichste Wasserstraße passieren. Und in der Tat hat der Schiffsverkehr sehr zugenommen. Auch die Handys haben wieder ein Netz, so dass viele die Chance nutzen, ein Lebenszeichen von Bord zu senden.
Gegen 13.30 Uhr findet die erste von mehreren Führungen durch das bordeigene Museum statt. Hier gibt es Informationen über die Geschichte des Schiffs, das einst als »Padua« in Dienst gestellt worden ist. Hier sind die Reisen der »Kruzenshtern« nachvollziehbar. Über den neuen Namensgeber, den deutsch-baltischen Generaladmiral Adam Johann Baron von Krusenstern (1770 – 1846) in zaristischen Diensten, findet sich Wissenswertes. Und dann sind natürlich auch die vielen ersegelten Trophäen, die Silberpokale, ausgestellt wie auch andererseits eine Pyramide mit einer recht skurrilen Sammlung von Mitbringseln, z. T. sehr kitschig. Ein kleiner Ausschnitt dessen, was dieses Schiff in seiner 86 Jahren alles erlebt hat.
Um 14 Uhr beginnt die Chorprobe in der Messe, nach Stimmen getrennt, unterbrochen durch den nachmittäglichen Kakao, der mit einem riesigen Stück frischen Apfelkuchens aus der Bordkombüse angereichert ist. Manche kapitulieren vor dieser Herausforderung und greifen lieber nur zur Kiwi.
Gegen 16 Uhr legt der Wind wieder zu auf Südwest um 6. Das veranlasst die Schiffsführung zu einem Alle-Mann-Manöver. Die nur lose auf den Rahen liegenden und jetzt schlagenden Segel müssen mit den Zeisingen festgebändselt werden. Wieder eine Knochenarbeit, besonders wenn so ein »Windsack« am Ende der Rah eingefangen werden muss.
19.30 Uhr Abendessen: natürlich Gemüsesuppe und dann eine Peperoni, gefüllt mit Hack. Schmeckt allen vorzüglich!
Fast der gesamte Chor verbringt den Abend zwanglos und in guter Stimmung in der Messe.
Im Zentrum agieren Stefan und Chrystian mit ihren Gitarren, Klaus B. begleitet mit Klanghölzchen, viele singen schwungvolle Lieder, auch solche, die beim Passat Chor eher auf der B-Seite stehen. An den Rändern der Messe spielen Skatgruppen oder vertiefen sich Gesprächsgruppen...Ein vielseitiger, sehr stimmungsvoller Abend, der für die Letzten erst nach Mitternacht endet.
4.Tag: Mittwoch, 11. Juli2012: Fahrt durch den englischen Kanal
Wer vor Mitternacht den Weg in die Koje findet, hat es leichter am nächsten Morgen, in der Sporttruppe von Heinz J. mitzumachen. Heute sind wir insgesamt sechs, die den Kampf gegen die Problemzonen wagen. Unter den motivierenden Kommentaren von Heinz werden erst einmal ein paar Runden ums Schiff gelaufen (binnenbords natürlich), um die niedertourig laufenden körpereigenen Systeme hochzufahren. Dann werden die Rümpfe gnadenlos gebeugt, der Schultergürtel erhält eine eigene Zuwendung. Als aber wir aber, einander festumklammert um eine Winsch stehen, die Beine nacheinander hochschwingen sollen, kracht es gewaltig in den schon recht morschen Gebälken. Schnell legt Heinz noch einige Streckübungen ein gegen diesen und jenen Krampfansatz. In Bauchlage sollen dann alle Körperteile bis auf den Bauch zum Fliegen gebracht werden, dabei erst wird jeder von uns gewahr, wie weit doch schon seine gut gepolsterte Körpermitte reicht und wie unerbittlich die Schwerkraft wirkt. Dasselbe dann in Rückenlage: »Und hoch die Hüften!« Doch zum Himmelstürmer taugen wir in Wirklichkeit nur noch bedingt- mit Ausnahme von Heinz natürlich. Aber der muss uns ja auch in Brest mit einem bretonischen Fischerlied vertreten, da gilt es Geist und Körper topfit zu halten.
Milde lächelnd verfolgt das Volk der Frühraucher unser sportliches Tun. In der Tat, es muss ja auch recht komisch aussehen, wenn wir uns an Deck winden und einen fiktiven Ball von den Knien pflücken und über die nach oben gewölbte Schulter irgendwo vor dem Kopf plazieren. Unser sportlicher Ehrgeiz überträgt sich jedenfalls nicht spontan und wirkt wenig mitreißend auf die »Zaungäste«. Natürlich mit Ausnahme der Kadettinnen und Kadetten, die, kaum sind wir fertig, auf die verschiedenen Freiluftdecks strömen – zur Gymnastik. Mens sana in corpore sano! Die Ausbildung an Bord der »Kruzenshtern« ist ganzheitlich. Komisch eigentlich, dass damit ein Teil des Chores gewisse Schwierigkeiten hat und lieber auf Schwerpunkte setzt...
Der Himmel ist überwiegend bewölkt, aber die Wolkenstruktur lässt dennoch indirekt und gefiltert das Sonnenlicht durch. Moderater Seegang. Der »Hummelschwarm« ist aus der Takellage verschwunden, d. h. weniger Geräuschkulisse. Im Gegensatz zu gestern sollen heute Luft (17°C) und Wasser(16°C) einige Grade wärmer geworden sein. Der Wind, der nach wie vor aus aus der Generalrichtung Südwest kommt, hat deutlich nachgelassen und lässt bei durchschnittlich vier Windstärken ein aktives Oberdeckleben zu. Uwe W.s erste Kontaktaufnahme mit der Natur mündet jedoch voller Enttäuschung in dem Kommentar: »Ein erbauliches Leben oben stelle ich mir anders vor!« Schließlich hat er einen mobilen Angelsesselsitz mit der Gelegenheit für ein gutes Trinkgefäss und spannnende Lektüre mitgebracht. Seine Infrastruktur aber hat derzeit noch keine Hochkonjunktur.
An Steuerbord ist schemenhaft die Küste von England, wohl Wales, auszumachen. Kurs West bis Nordwest liegt seit gestern an. Der Kapitän hält sich unter der englischen Küste, um dann – hoffentlich! – nach Brest abfallen und dabei Segel setzen zu können,. Das wäre eine zauberhafte Schlusspointe unserer Seereise.
07.30 Uhr wie gewohnt Frühstück: Für jeden kommen ein stattliches Würstchen und zwei Spiegeleier auf die Back! Freudige Gesichter allenthalben. Aus der Tiefe des Chores kommt der Kommentar: »Ist doch klar,wir kommen in Landnähe!« Anzeichen schwerer Irritationen gibt es bei Hans-Peter H. , als er seinen Blick über meinen Teller schweifen lässt. » Ich hab‹ ja schon viel mitgemacht, aber Spiegeleier, Würstchen und Marmelade, das geht doch gar nicht!« Hans-Peter kann sich geschmacklich erst beruhigen, als ihm nachgewiesen wird, dass die Spiegeleier und das Würstchen unter einem leichten Mantel von Ketchup und nicht von Marmelade verfeinert werden. Der Schreck über meine vermeintliche Geschmacksverirrung steckt tief in ihm...
Gleich nach dem Frühstück ist Intelligenz gefragt, nicht für die mitgebrachten Sudokus und sonstigen Kreuzworträtsel. Winfried H. hat mit einem Team einen dreiseitigen maritimen Fragebogen ausgearbeitet, den es in Kleingruppen zu lösen gilt. Zum Glück nicht auf nüchternem Magen! Wer es bis 9 Uhr nicht in der Messe schafft, muss an Deck weiterarbeiten. Brain-Storming, dafür flaut der Wind ab. Nur eine ganz sanfte Wiegebewegung lässt spüren, dass wir uns auf einem wunderschönen Traditionssegler befinden. Neben uns schrubben die Kadetten ihre »Takelpäckchen« an Deck – Waschtag. Gegen 11 Uhr zieht ein kleiner Schauer über uns hinweg quasi als Spülgang für die Klamotten, die überall aufgespannt sind.
Die Mundharmonika-Werker versammeln sich um 10 Uhr in der Messe und lauschen den Demonstrationen von Dieter Sch., Klaus B. und Doc Jörg St. Zauberhaft, was sich an Klang aus so einem winzigen C-Instrument mit Blasen, Ziehen, Zungen-und Handeinsatz entlocken lässt! Außerdem sind die therapeutischen Möglichkeiten dieser Instrumente nicht zu unterschätzen: Wer bläst, kann weder saufen noch herumlabern. Mit solch einer Einseitigkeit ist man im Prinzip doch zugleich wieder sehr vielseitig. Hartmut W. versucht uns, aufbauend auf der Grundlage von gestern, in Engelsgeduld die nächsten Töne beizubringen. Doch die Soli von Dieter Sch. und Klaus B. zeigen uns, wie weit wir noch entfernt sind von unserer Idealvorstellung.
An Oberdeck findet eine besondere Aktion statt. Gestern muss beim Festlaschen der auswehenden Rahsegel bei einem der Segel ein Riss entstanden sein. Das schadhafte Kreuz-Untermarssegel wird abgeschlagen und in einem ausgeklügelten Manöver herabgelassen. Auf umgekehrten Weg wird ein funkelnagelneues Tuch hochgezogen und angeschlagen. Das Ganze findet unter den intensiv nach oben gerichteten Blicken des Chores statt. Kurzfristig einsetzender Sprühregen begleitet auch das Ganze. Es ist eine ausgefeilte Technik nötig, um ein so großes Segel wieder zu setzen und sicher zu verankern. Wenn früher die Passatwinde erreicht waren, wurden alle Schwerwettersegel gegen leichtere komplett ausgewechselt. Und das waren 34!
11.30 Uhr zum Mittagessen in die Messe: Gemüsesuppe, anschließend Hähnchenkeule, Kartoffeln und frisches Gemüse (wie immer Tomaten-Gurke-Dill-Mischung). Alles wird mit gutem Appetit gegessen. Chorleiter Stefan korrigiert sein Programm für den Nachmittag. Um 6 Uhr wird wieder zusammen mit 20 Kadetten gesungen. Stimmung ist gut. Alles wird gut.
Gegen 13 Uhr wird eine weitere Gruppe durchs Bordmuseum geführt. Der Wind hat 9 m/sec, die Sonne scheint und hat sich den halben Himmel erobert. Fast Kreuzfahrer-Wetter. Schade nur, dass wir nicht segeln können, aber der Wind kommt fast von vorn. Von achtern prescht in hoher Geschwindigkeit ein Kriegsschiff heran. Es ist ein russisches, vielleicht so eine Art U-Jagd-Boot. Von der Brücke erfahren wir, dass es aus Kaliningrad stammt und auch nach Brest fährt. Klar, dass sich die Schiffe durch das Dippen der Flaggen grüßen.
Der wachhabende 1. Offizier, Jewgenij, zugleich unser Betreuer, erlaubt Heinz J., unter Aufsicht den Großmast zu entern, natürlich ausgestattet mit einem Sicherheitsgurt. Das Aufentern geht nur bis in die erste »Etage«, bis zur ersten Rah. Das letzte Stück geht steil nach oben, dann gilt es die Plattform zu erklimmen und sich mit der Sicherheitsleine einzupieken. Heinz schafft diesen »Parcour« in gewohnter sportlicher Eleganz und Zuverlässigkeit. Bei Ulli Th. klappt das nur mit Zusatzhilfe. Warum? Auf halber Strecke rutscht ihm der Sicherheitsgurt herunter und wird zur Fußfessel. Da geht nichts mehr, weder rauf noch runter. Erst als ein zweiter Seekadett das Fesselkorsett wieder hochwuchtet, hat er »Grün« und kann seine Erstbesteigung erfolgreich abschließen. Allgemeiner Kommentar der grinsenden Chorbeobachter: »Ja, wer keinen A... in der Hose hat...!« Unbekannt ist, ob sich Ulli sofort bei Heinz zum Frühsport angemeldet hat.
Tatjana verwöhnt uns zur Kaffeezeit wieder mit einem Riesenstück Kuchen, dieses Mal mit handwarmem Quarkkuchen. Wer das nicht abkann, greift beherzt zur Banane.
16 Uhr Chorprobe auf dem Vorschiff bei strahlendem Sonnenschein und wieder etwas zunehmendem Wind.(6 Bft. aus West). Ab und an leckt Gischt über die Schanz. Chorleiter Stefan hockt auf einem Spill wie ein Zauberer und bringt seine Männer in Form. Auch wenn er immer etwas zu kritisieren hat, merkt auch er, wie seine vor zwei Tagen vorgetragene Vision langsam Früchte trägt: »Schaut auf’s Wasser! Atmet die herrliche Seeluft. Lasst euch Seebeine wachsen...Dann singt es aus euch heraus!« Im Auf und Ab des Vorschiffs geht das bretonische Fischerlied richtig unter die Haut. Der manchmal etwas sehr ernste Blick der Männer ist längst einem heiteren Lächeln gewichen, dessen Quelle tief drinnen sitzt: Es ist das Glücksgefühl, auf diesem Schiff mitfahren und beim Ausgang des englischen Kanals in die beginnende Biscaya »Sailing, sailing« singen zu dürfen. Der Chor strahlt und fühlt sich in Hochstimmung...
Eine weitere gemeinsame Chorprobe mit ca. 20 Seekadettinnen und Seekadetten in einem ihrer Decks verläuft sehr harmonisch. Die Crew überreicht Stefan einen großen Prachtband über die »Kruzenshtern«. Beide Gruppen präsentieren einen Teil ihres Repertoires. Zum Schluss aber singen wir gemeinsam zu Heinz‹ Solo den Refrain des bretonischen Fischerlieds »Gwerz«. Das klappt schon ganz gut. Die Kadettinnen und Kadetten sind engagiert dabei. Stefan hat die sich anfangs eher schüchtern gebenden Frauen und Männer in seinen Bann gezogen. Beherzt und mit einem glücklichen Lächeln singen sie mit uns den Refrain. Aus dieser sich sehr positiv anbahnenden gemeinsamen Arbeit ließe sich für die Zukunft ein tolles Projekt machen. Thomas Th. ist schon ganz Feuer und Flamme von dem Gedanken daran...Mit dem bretonischen Fischerlied wollen wir morgen, wenn wir in Brest einlaufen, unsere französischen Gastgeber begrüßen – und überraschen. Der Kapitän unterstützt die Idee und hat die zwanzig jungen Leute dafür freigestellt.
Abendessen um 1930 Uhr in gewohnter Qualität: Suppe, dann Wiener Schnitzel mit Nudeln und Salat. Vorzüglich. Am späteren Abend steht für jeden noch ein gewaltiges Stück Cremetorte auf der Back. Heute Abend hat sich die Schiffsführung angesagt, doch es kommt nur Jewgenij, der 1. Offizier, in unser Deck. Er übergibt uns allen persönlich die Urkunde über die Reise auf der »Kruzenshtern« mit kräftigem Handschlag. Er lobt uns und die gemeinsame Singarbeit mit Kadetten und wünscht uns den allerbesten Erfolg für unsere Auftritte in Brest. In seiner Erwiderung bedankt sich Thomas Th. für die Gastfreundschaft und die gute Atmosphäre an Bord insgesamt. Dann wirft er schon ›mal die Angel aus und spricht die Hoffnung aus auf weiterhin gute Kontakte und auch Zusammenarbeit. Das und die inzwischen überreichten Schachteln mit Lübecker Marzipan für die Crew kommen beim 1. Offizier sehr gut an. Der Anfang ist gemacht!