Travemünde 06.09.2007
TA-Interview: Mit dem Bollerwagen über die Ostsee
Wie Fischer Gerd Vollbrecht 1945 nach Travemünde kam

TA: Herr Vollbrecht, im Seebadmuseum steht so ein schöner Bollerwagen, was hat denn das damit auf sich?
Gerd Vollbrecht: Ja, mit dem Bollerwagen sind wir 1945 mit zwei Familien hierher geflüchtet. Mit dem Fischkutter. Der Bollerwagen war dann auf dem Kutter mit drauf. Und dann sind wir hier in Travemünde gelandet. Da war all unser Hab und Gut für zwei Familien drin.
TA: Wie viel Menschen waren an Bord?
Gerd Vollbrecht: Das war ein 14-Meter-Kutter, da waren wir mit fünfzehn, sechzehn Mann. Auch noch ein kleines Kind. Und jeder war seekrank. Meine Großmutter passte gar nicht mehr rein, die war noch hinten im Ruderhaus.
TA: Wer war da alles dabei?
Gerd Vollbrecht: Mein Großvater, meine Großmutter, meine Mutter und ich.
TA: Aber da haben Sie noch Sachen an Bord gehabt, nicht alles im Bollerwagen?
Gerd Vollbrecht: Nee nee, im Bollerwagen war alles was wir hatten damals.
TA: Wem gehörte der Kutter?
Gerd Vollbrecht: Das war der Kutter von meinem Onkel. Das war so: Am 8. März 1945 kamen die Russen bei uns. Wir hatten schon mehrere Sachen auf den Kutter gebracht, und denn war aber Sturm. Da wollten die Kutter nicht rausfahren. Und denn sollten wir auch Flüchtlinge mitnehmen. Jedenfalls mussten wir alles wieder runterholen. Es hieß, dass die Kutter sonst gesprengt werden sollten. Und denn mussten wir doch Hals über Kopp los im Sturm, das ist aber auch gut gegangen. Zum Glück flaute der Sturm nachher ab.
TA: Wo kommen Sie denn her?
Gerd Vollbrecht: Von Stolpmünde, das ist in Pommern. Von da sind wir 24 Stunden erst nach Bornholm rüber und dann nachher sind wir ins Sassnitz gelandet, das war die erste Station. Und immer so Stück für Stück weiter. In Warnemünde haben wir vier Wochen gewohnt. Mit dem Wagen immer hinuntergezogen wenn Fliegeralarm war: Sachen auf den Kutter rauf, auf See gefahren. Und dann wieder zurück. Am 1. Mai 45 kamen da auch die Russen, da sind wir dann nach Fehmarn rübergeflüchtet. Auf Fehmarn haben wir dann die Kapitulation erlebt, Kriegsende. Da waren hunderte Kutter, von Pommern und von Ostpreußen, alles versammelt. Dann wurden wir aufgeteilt, Travemünde, Schlutup, Flensburg.
TA: War die Überfahrt gefährlich?
Gerd Vollbrecht: Das war schon gefährlich, da waren ja auch U-Boote. Das war Glückssache, wir sind alle gut angekommen.
TA: Was war denn drin in dem Bollerwagen?
Gerd Vollbrecht: Bettzeug, etwas anzuziehen, das Nötigste was man für eine Reise braucht.
TA: Wie war der Empfang in Travemünde?
Gerd Vollbrecht: Wir haben in der Torstraße gewohnt. Wir wurden da reingesetzt, so begeistert waren die alle nicht von uns. Das ist ja auch verständlich.
TA: Sie sind dann in Travemünde heimisch geworden?
Gerd Vollbrecht: Ja, ich bin hier auch noch ein Jahr zur Schule gegangen. Jetzt ist das schon über 60 Jahre unsere zweite Heimat.
TA: Wenn Sie noch mal zurückfahren, erkennen Sie noch was wieder?
Gerd Vollbrecht: Naja, da ist viel gebaut worden. Stolpmünde hatte damals 4.000 Einwohner, jetzt sind das über 20.000. Der Badebetrieb geht wohl gut da.
TA: War ihnen damals schon bewusst, dass Sie nicht wieder zurückkehren?
Gerd Vollbrecht: Die Alten meinten ja immer noch, sie wollten wieder zurückkommen. Aber meine Großeltern haben ihre Heimat nicht wiedergesehen.