Travemünde 26.01.2007
Honoratioren ohne Hosen
Wie sich die Bahn mit einem Hightech-Klo im Travemünder Strandbahnhof blamiert

Zwei drittel aller Bahnreisenden kapieren den Öffnungsmechanismus nicht, haben Anlieger beobachtet.

Was seit einem halben Jahr regelmäßig zu höchst peinlichen Szenen für die Besucher der Bedürfnisanstalt führt. Die Tür, welche Bahnhofshalle und »Thron« trennt, ist nämlich nur mit einem ausgeklügelten Mechanismus zu verriegeln. Dazu dient im Inneren ein rotes Lämpchen an der Wand, darunter ist ein Schalter, der stark an einen Lichtschalter erinnert. »Um die Tür abzuschließen, bitte hier drücken«, ist darüber zu lesen. Wer irrtümlich auf das Lämpchen drückt statt auf den Schalter, hat schon verloren: Die Tür bleibt unverschlossen, die Sicherheit höchst trügerisch. Wenn jetzt ein Nachfolger von außen auf »Tür auf« drückt, springt diese vollautomatisch auf, sperrangelweit. Man sitzt »im Freien«. Schon bei der Eröffnungsfeier im Mai 2006, erzählt man sich im Ostseebad, ist es da für Honoratioren im Anzug zu hochnotpeinlichen Situationen gekommen. Inzwischen haben sich Kinder einen Sport draus gemacht.

Panik bricht bei Erleichterung suchenden aus, wenn sie die Tür zwar erfolgreich verschlossen haben, aber nicht wieder aufbekommen. Der Tastendruck auf den großen grünen Knopf »Tür Auf« bringt nämlich gar nichts. Der setzt nur den Motor der Tür in Gang. Zum Entriegeln muss erneut der als Lichtschalter getarnte Knopf unter dem roten Lämpchen gedrückt werden. Das steht aber nirgends. So kam es, dass schon eine Woche nach der feierlichen Eröffnung des denkmalgeschützten Bahnhofes die Polizei Räuberleiter machen musste. Nur so ist von außen der ganz oben am Türrahmen angebrachte Notfallknopf zu erreichen, mit dem die Tür sich entriegeln und der Eingeschlossene sich befreien lässt.
Manchmal versuchen die anliegenden Ladenbesitzer auch, in Not geratenen Reisenden durch die geschlossene Tür die richtige Tastenkombination zuzurufen. Nicht immer erfolgreich, wenn die Panik hochsteigt. Dann muss wieder einer Räuberleiter machen.
Den Newsletter von »Travemünde Aktuell«, in dem der Öffnungsmechanismus beschrieben wird, hatte zwischenzeitlich jemand an die Info-Tafel für die Fahrplanauskunft geklebt. Als Bedienungsanleitung. Im günstigsten Fall werden gen WC strebende von netten Travemündern mit dem Zuruf »Vorsicht, Hightech-Klo« gestoppt und bekommen dann eine kurze Einweisung. Trotzdem hört man fast jede Woche verzweifeltes Klopfen.
Warum, fragen sich Reisende wie Einheimische, hat man nicht einfach einen Riegel genommen, wie es ihn beim Bau des Bahnhofes durch Architekt Fritz Klingholz im Jahre 1912 sicherlich gegeben hat.

Die Travemünder fragen sich inzwischen auch, ob ihr Bahnhof Versuchsanstalt für einen neuen Verriegelungsmechanismus ist. Ob ihr Bahnhofsklo wohl einmalig ist auf der Welt. Es scheint fast so. Diese Woche schaute eine bunt gemischte Reisegruppe aus Kasachstan, Bolivien, Indien und Australien vorbei. Keiner hatte je zuvor so eine Toilettenanlage gesehen. Aber man hat sich köstlich amüsiert… HN
PS: Bei aller Slapstick-Komik, die die Anlage aussenstehenden durchaus bietet, ist die Sache nicht ganz ungefährlich. Travemünde hat auch viele ältere Gäste. Und die umliegenden Läden sind nicht immer besetzt. Wenn da mal was passiert, ohne dass es einer merkt...