KUNST & KULTUR
Travemünde 10.04.2016
Mathias Tretter: Selfie
Kulturchef Wolfgang Hovestädt kündigt das Programm des Abends an. Es sei etwas Besonderes. In der Tat. Bevor Meisterkabarettist und Träger von 16 Preisen dieses Genres überhaupt auf der Bühne erscheint, tönt aus den Lautsprechern mit der Allgewaltigkeit und Wucht der Musik Wagners das Vorspiel aus der Oper »Der Fliegende Holländer«. Scheinbar getragen vom Wagner‹schen Musikschwall und mit weit ausgestreckten Händen und Armen erscheint Mathias Tretter auf der Bühne. Der Klangschauer verebbt dem Piano der Partitur folgend und verschwindet elektronisch elegant ausgeblendet. Sodann spricht Mathias Tretter.
An die Stelle der Musik tritt fortan die Sprache des hoch politischen Kabaretts, satirisch geistvoll, verbal auf höchstem Niveau. Tretter scheint es zu ahnen. Seine Fans dürften sich fragen, warum gerade Wagner der Einstieg unter dem Titel seines Programmes »Selfie« das richtige Opening sei. Er formuliert diese Frage hinein ins Publikum und stellt gleich eine musikalische Alternative in den Raum. Nämlich, ob denn Mozart nicht geeigneter gewesen wäre. Er verneint dieses Ansinnen sofort mit der bissigen Konter, denn wer wolle schon unter der Musik eines Österreichers einmarschieren. Damit ist das kabarettistische Anforderungsprofil an die Fans und den kabarettistischen Abend formuliert.
Obwohl: für den einen oder anderen Gast könnte sich die Frage gestellt haben, ob mit dem Rückgriff auf Mozart und dem historisch schillernden Begriff des »Einmarschierens« das kabarettistisch mögliche Potenzial von Mozart – wohlgemerkt vor dem Hintergrund des Titels »Selfie« – bereits ausgeschöpft wurde oder vielleicht die bessere Alternative gewesen wäre. »Dies Bildnis ist bezaubernd schön« ist eine wunderbare Arie aus Mozarts Zauberflöte oder auch die Arie des Osmin aus Mozarts »Entführung aus dem Serail« »Wer ein Liebchen hat gefunden…« wären durchaus für Tretter entwickelbare musikalisch-kabarettistische Ansätze gewesen, um alternativ zu Wagner zum Thema hinzuführen. Er ließ es offen und seine Fans können es als Hausaufgabe mit nach Hause nehmen.
Dass Tretter als Beifang seines Kabarettprogrammes bemerkenswerte rhetorisch und kunstreich pointierte Begriffe einstreut, wie z.B. »Wagner sei Bach mit Stalinorgeln« zeigt, dass es in ihm musikalisch rumort. Vielleicht aber hat das Ganze auch eine ganz natürliche Erklärung, warum sich alles immer wieder um Wagner dreht. Tretter ist Franke, lebt aber jetzt in Leipzig. Vielleicht scheint er dem langen Arm des Bayreuther Hügels auch in der Ferne nicht entronnen zu sein.
Ein lohnender Abend für das Travemünder Publikum: Seine Message war in seiner fortwährend neu thematisierten bissigen Zeitanalyse verpackt – zupackend politisch-kritisch. Kabarett soll anregen nachzudenken. Tretter hat Spuren hinterlassen. KEV
Fotos Karl Erhard Vögele