ORTSGESCHEHEN 3 78
Lübeck 17.10.2015
»Die Frauen und Kinder brauchen einen warmen Platz«
Flüchtlingsforum erklärt »symbolische Besitznahme« eines Hauses in Lübeck
In den vergangen Monaten hatte vieles draußen stattgefunden: Zelte wurden aufgestellt, Matratzen ausgelegt, ein Kinderbereich eingerichtet. »Das geht halt nicht mehr bei dem Wetter«, sagt Juliane, Pressesprecherin des Lübecker Flüchtlingsforums im Gespräch mit »Travemünde Aktuell«. Die Lösung sehen die Helfer in einem städtischen Gebäude gleich neben der Walli. Das ist alt, aber gut beheizt. Nach erfolglosen Appellen an die Stadt schritt man am Samstag zur Tat.
Das Lübecker Flüchtlingsforum nimmt Flüchtlinge am Bahnhof in Empfang, organisiert die Weiterfahrt mit der Fähre von Travemünde aus und braucht für die Zeit bis dahin einen Platz im Warmen für die Männer, Frauen und Kinder. Bis 10:30 Uhr am Samstagmorgen hatte man deshalb noch auf Rückmeldung aus dem Rathaus gehofft. Doch da kam nichts. Also wurde am verschlossenen Tor des Grünflächenamtes »Revier Holstentor« ein Banner aufgehängt: »Refugees Welcome« (»Flüchtlinge Willkommen«). Zäune wurden beiseitegeschoben und mit einem Bolzenschneider das Vorhängeschloss geknackt.
Die Weinranken wurden mit mitgebrachtem Gartengerät von der Fassade geschnitten, weil die Pflanzen dem Gebäude schaden würden, wie es hieß. Und die Fenster geöffnet. Im Inneren des gut geheizten Gebäudes sperrte das Flüchtlingsforum mit Klebeband das einzige Büro ab. In allen anderen Räumen lagerten nur Materialien des Grünflächenamtes.
Die Menschen waren 45 Minuten auf dem Gelände, als Pressesprecherin Jana vom Flüchtlingsforum per Lautsprecher verkündete: »Das Haus ist offen. Wir erklären hiermit das Haus in unserem symbolischen Besitz.« Applaus brandete auf. »Wir möchten der Stadt zeigen, dass wir das Haus symbolisch in Besitz genommen haben, weil wir keine andere Möglichkeit haben. Wir sind weiterhin bereit mit der Stadt zu verhandeln«, stellte die Pressesprecherin klar. Das hätte nichts mit dem »bösen Wort Hausbesetzung« zu tun. »Wir möchten uns an dieser Stelle auch nicht kriminalisieren lassen, sondern wir befinden uns in einer Umbruchsituation in ganz Europa, in der ganzen Welt, in Deutschland und auch in Lübeck.« Tagtäglich würden in Lübeck 200 bis 400 Geflüchtete ankommen, die nach Schweden weiterreisen wollten. »Und den Menschen muss geholfen werden. Die Frauen und Kinder brauchen einen warmen Platz, wo sie sich ausruhen können, wo sie einen Tee trinken können. Wo die Kinder auch einfach mal zwei Stunden im Warmen spielen können. Und ein bisschen Fröhlichkeit auch in Lübeck erfahren bevor sie sich auf die Fähre nach Schweden begeben.«
Die Besucher des Festes auf dem Gelände konnten derweil unter Aufsicht des Flüchtlingsforums in kleinen Gruppen an Hausführungen durch das städtische Gebäude in der Willy-Brandt-Allee teilnehmen. Das Haus ist alt, aber mollig warm geheizt, konnten die Besucher dabei feststellen. Und auch, dass ein Argument wohl keines ist: Angeblich konnte das Stadtgrün nicht ins DGB-Haus umziehen, weil dort keine Frauendusche sei. Im derzeitigen Gebäude gibt es zwar zwei Duschen, aber eine davon ist kaputt.
Auf der anderen Straßenseite bei der Musik- und Kongresshalle war ein Polizeibus zu sehen, die Polizei war vor Ort, eingeschritten wurde nicht.
Von Anfang an vor Ort waren auch Lübecker Politiker, etwa Antja Jansen und Ragnar Lüttke (LINKE) sowie Carl Howe (Grüne). Gegen 11:30 traf auch die SPD ein, darunter Peter Reinhard und der Fachbereichsleiter Sven Schindler. Vertreter des Flüchtlingsforums zogen sich mit der SPD zu inoffiziellen Gesprächen zurück. Die Teilnahme von LINKEN und GRÜNEN sei von der SPD nicht gewünscht gewesen, erzählte Antje Jansen am Rande der Veranstaltung.
Eine konkrete Entscheidung wird ohnehin am Wochenende nicht fallen, die wird vom amtierenden Bürgermeister erwartet, er soll endlich handeln. Sein Vorgänger tut es bereits: Er hilft beim Flüchtlingsforum, vom Aufräumen der Küche übers Kaffee kochen bis zur Organisation der Fährfahrten für die Flüchtlinge. TA