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Timmendorfer Strand 16.01.2012
Geld schaufeln bei Anja Es
Mit einem hochaktuellen Thema befasst sich die seit Sonntag zu sehende Ausstellung in der Trinkkurhalle in Timmendorfer Strand, an der Kurpromenade nahe der Seebrücke.
Anja Es hat in ihre Galerie zu aktuellen Themen eingeladen: Mit den Titeln »Bonzen, Banker, Börsenmakler« und »Geld schaufeln« wird klar, worum es geht: Kapital und Markt, weiße Westen und schwarze Tage.
Der Maler Detlef Kein befasst sich seit vielen Jahren mit Sinn und Auswirkungen eines nahezu ungebremsten Kapitalismus und kommentiert in seinen Bildern subtil und gleichzeitig überspitzt die Attitüde der Banker. Seine auf Gipsbinden gemalten Arbeiten bestechen durch kühle Eleganz, entlarvende Perspektiven und hintergründige Ironie.
Der Bildhauer Daniel Castiglione zeigt u.a. seine Designer-Möbel aus Münzen, eine Schaufel aus Geld und viele weitere Objekte, die weich fließend wirken und eisenhart gemacht sind.
Die gesamte Ausstellung glänzt mit einer makellosen Optik und überaus ästhetischer Präsenz. Aber Vorsicht: Wie so oft bei Anja Es liegt das Gewicht auf dem Inhalt: Die Stolperfallen des Wohlstands und der Wohlanständigkeit – z.B. von Bankberatern – lauern überall. Eine davon hat Daniel Castiglione gleich mitgebracht: In Form einer überdimensionalen »Mausefalle für Menschen«.
Als Köder lockt kein Käse, sondern ein Aktenkoffer voller Geld. Die Vernissage wurde mit Anwesenheit der Künstler und der obligatorischen »Predigt zur Kunst« von Anja Es in der Trinkkurhalle, Kurpromenade an der Seebrücke eröffnet. Der Eintritt ist frei.
Die Ausstellung läuft bis zum 30. März. AE/KEV
Alle Fotos: Karl Erhard Vögele
Liebe Gäste,
herzlich willkommen zur ersten Ausstellung des Jahres 2012 und zur ersten Predigt zur Kunst. – Und der Begriff Predigt passt dieses Mal besser denn je.
Ursprünglich kennen wir Predigten aus dem religiösen Kontext aber wer erinnert sich nicht an die verzweifelten Worte der eigenen Mutter, die mit zum Himmel gehobenen Augen lamentiert: »Wie oft habe ich dir gepredigt, wie wichtig es ist...« – Das ging mir nach vielen Jahren Galerie-Arbeit nicht anders: Man predigt die Kunst ohne Unterlass aber einigen geht sie nicht in den Kopf und schon gar nicht ins Herz. So entstanden die Predigten zur Kunst – mit etwa dem gleichen Erfolg wie die Sonntagspredigten des Pastors. – Ein paar sind inspiriert.
Heute aber predige ich nicht nur die Kunst, sondern auch die Religion. – Und zwar die einzige Religion, die die ganze Welt umspannt, die Gläubige und Gläubiger auf jedem Kontinent hat, die mit ihren Symbolen in jedem Portmonee zu finden ist, für die manche Menschen alles tun und alles geben würden, für die gemordet, verraten, geschuftet, gebettelt und gebetet wird: Geld!
Und wer glaubt, die Religion des Geldes würde sich einer Säkularisierung unterwerfen, irrt, denn Geld hat nicht nur spirituelle, sondern vor Allem auch politische Macht: Geld regiert die Welt! Das weiß jedes Kind. Längst sind Politiker keine weisen Männer mehr, sondern beantworten sich sich die philosophische Frage Woher kommen wir, wohin gehen wir? Mit: Aus der Wirtschaft, in die Wirtschaft! Längst beherrscht das Geld alle Bereiche des Lebens und selbst wenn jemand stirbt raufen sich die Hinterbliebenen die Haare: Was das wieder kostet! Wie aber reagiert die Kunst auf den zur Allmacht gekrönten Gott-König? Huldigt sie ihm? Verleugnet sie ihn oder holt sie den Exorzisten?
Spätestens seit die Kunst nicht mehr Handwerk und die Künstler nicht mehr Auftragsmaler sind, definiert sich das Ganze ja als Spiegel der Gesellschaft. Als kritischen, zumindest aber kommentierenden und interpretierenden Spiegel. Die Künstler stehen also vor der Aufgabe, sich mit gesellschaftsrelevanten Themen auseinander zu setzen und sowohl eine Position, als auch einen künstlerischen Ausdruck dafür zu finden. Das ist leicht, wenn es um Atomkraft geht oder um anderes Teufelszeug. Bei Geld wird’s schon schwieriger, denn Geld ist mächtig. Es hat unglaublich viele Anhänger, eine sehr starke Lobby und das Schlimmste: Der Künstler braucht es selber!
Andererseits: Geld fordert unglaublich viele Opfer. Weil wir im Überfluss leben, müssen Andere hungern. Familien und sogar die Liebe zerbrechen, wegen Geld. Natur und Tiere werden geschunden, wegen Geld. Wenn es keine Helden mehr gibt, die dem Drachen das Feuer abdrehen, wer sonst soll reagieren, wenn nicht die Kunst?
Detlef Klein und Daniel Castiglione sind solche Helden der Kunst. Sie wollen das Geld nicht abschaffen, ebenso wenig, wie Luther die Kirche abschaffen wollte. – Aber ein bisschen Reformation in den Köpfen der Menschen wäre nicht übel. Nun könnten sie 99 Thesen an die Galerie-Tür schlagen, öffentlich Geld verbrennen – aber nein, öffentliche Gelder werden ja schon überall verbrannt und das wäre nicht innovativ. – NEIN, natürlich wählen die Künstler die Mittel der Kunst.
Detlef Klein in seiner zurückgenommenen, diskreten Art lenkt unseren Blick außerordentlich subtil auf den Dresscode des Geldes. Dabei malt er nichts Schlimmes und lässt auch das Ausrufungszeichen weg aber irgendwie...
Seine Anzugträger sind gesichtslose Figuren der Macht. Allein die Hände verraten den Handelnden, die Haltung. Sie sind gefaltet und sagen: »Tut mir Leid, da kann ich nichts für Sie tun.« Oder »Das sind nun mal leider die Gegebenheiten, mich trifft da keine Schuld.« Andere Hände tragen eine Brechstange und demaskieren den tadellosen Anzug: Mit allen Mitteln der Macht. Ein weiteres Bild zeigt nur einen selbstbewusst aus dem Anzug quellenden Bierbauch, der eine imperialistische Grundhaltung ausstrahlt: »Ich sitze am längeren Hebel und ich kann lange sitzen.« Für Detlef Klein sind die Wirtschaftsmanager die neuen Hoffnungsträger, die Adressaten von Heilserwartungen und die Performer des kulturellen, wissenschaftlichen und wirtschaftlichen Fortschritts.
Stilistisch verzichtet Klein auf fotorealistische Darstellung, sondern nutzt die Stofflichkeit von Gipsbinden, um fast fühlbar das Gewebe der Anzüge, die vermeintliche Feinheit teurer Stoffe in Verbindung mit grober Durchsetzungskraft zu verdeutlichen. Alle Arbeiten verbindet jedoch die Absage an die frontale Konfrontation und der Verzicht auf den schnellen Gag und die Propaganda. Detlef Klein kommt leise daher und macht nachdenklich.
Daniel Castiglione wird da schon deutlicher. Er macht Geld zum anfassen. Er überzeichnet die Erotik des Geldes, indem er einen ausgesprochen sinnlichen Frauen-Torso daraus macht. Geld ist sexy. – Vielleicht auch billig, denn zusammengezählt ergibt die Dame nicht besonders viel, schließlich ist sie aus Cent-Münzen zusammengeschweißt... Andererseits, meine Teuerste, wirken Sie recht edel, so kunstvoll hingegossen... Man kann es sehen, wie man will – aber man sieht es! – Ganz im Gegensatz zum realen Alltag, in dem Geld häufig unsichtbar ist. Einerseits, weil wir bargeldlosen Zahlungsverkehr pflegen, andererseits, weil Geld in Westeuropa höchstens diskret gezeigt wird. – Anders als z.B. in Russland, wo es durchaus als kultiviert gilt, zu zeigen, was man hat.
Natürlich zeigt man auch hier indirekt seinen wirtschaftlichen Status, z.B. in Form von Designer-Möbeln. – Daniel Castiglione tut das auch, allerdings eher direkt, denn er baut die Stühlchen gleich aus Geld und spricht sicher diejenigen an, die sowieso auf ihrem Geld sitzen. Ebenso verhält es sich mit der Schaufel, mit der man Geld schaufeln kann, bis der Arzt kommt. Die ironische Überzeichnung der Bedeutung des Geldes kommt bei Castiglione leichtfüßig und manchmal witzig daher. Man ertappt sich selbst bei den unmöglichsten Assoziationen und erlebt einen neuen Blickwinkel auf das Geld, nämlich als Werkstoff für Kunst. Wer ein Objekt von Daniel Castiglione erwirbt, kauft Geld mit Geld und bekommt weniger, als er bezahlt. Aber er erhält eine Wandlung von Profanem zur Kunst, eine neue Sicht, eine geistreiche Bedeutung und ein ironisches Lächeln im eigenen Gesicht.
Und vielleicht wird sich dadurch auch die innere Haltung zum Geld verändern. Vielleicht bemerken wir, dass es tolle Dinge gibt, die gar nichts kosten oder Dinge, die mehr wert sind, als das, was sie kosten. Oder Werte, die uns kostbar sind und Kostbarkeiten, die nichts wert sind. Und diese neuen Gedanken sind ein guter Schutz vor der Menschenfalle, die Daniel Castiglione mitgebracht hat: Der Griff nach dem Geldkoffer hat nämlich schon so Manchem das Genick gebrochen.
Jetzt aber genug geredet, genießen Sie die Ausstellung, nutzen Sie die Gelegenheit, mit den Künstlern zu sprechen, vergessen Sie alle bösen Dinge, die ich über Geld gesagt habe und kaufen Sie Kunst!
Die wird die nächste Wirtschaftskrise totsicher überleben und neben der potentiellen Wertsteigerung auch noch eine emotionale Rendite abwerfen: Nämlich die Freude an ihr.