VERANSTALTUNGEN 4 2
Lübeck 11.09.2010
Auf der Suche nach dem Altstadtfest
Auch wenn gern mal aufs Liniennetz geschimpft wird, von Travemünde nach Lübeck kommt man recht komfortabel mit dem Bus, zum Altstadtfest gibt es sogar ein Sonderticket, 4,00 Euro hin und zurück. Aussteigen Gustav-Radbruch-Platz, weiter zu Fuß zum Koberg mit dem Mittelaltermarkt.
Auf dem Mittelaltermarkt spielt eine Mittelalterband Mittelaltermusik, es klingt ein wenig nach Dudelsack, gelegentlich gemischt mit Kirchturmläuten vom Gotteshaus nebenan. Der Markt kommt gut an, man steht an am Met-Stand, aber nicht zu lange. Immer wieder gucken Leute nach unten, auf das Licht-Kunstwerk, das nie funktioniert hat. Ob es wohl vollendet jemals so bekannt geworden wäre wie kaputt?
In der Zeitung stand was von 200.000 Besuchern. Gefühlt auf dem Koberg eher 2.000, jedenfalls am frühen Nachmittag. Aber das Wochenende ist ja noch jung. Vielleicht sind die übrigen 198.000 auch woanders, also weiter gucken.
Tatsächlich, in der Breiten Straße ist nicht so viel Platz, wie der Name vermuten ließe, was an den zusätzlichen Buden liegt die da aufgestellt sind und den vielen Menschen, die sich zwischendurch drängen. Wobei die vielen Menschen wiederum einen seltsamen Kontrast bilden zu dem, was man so zwangsläufig aufschnappt zwischen Schmuckständen, Lederwaren und den Bratwurst-Schwenkgrills mit dem roten Dach: »Nur Klamottenstände«, schimpft da grade einer in sein Handy. »Nur Essen, traurig, nicht?« sagt eine junge Frau. Aber irgendwo zwischen Hot-Dog, Soft-Eis und Gyros-Grill muss doch auch was von Lübeck sein.
Tatsächlich, da ist der Stand vom Weißen Ring. »Kennen Sie den Weißen Ring?« fragt eine Mitarbeiterin gerade. »Selbstverständlich!« antwortet die angesprochene Lübeckerin, ein klein wenig empört. Man kennt die Ehrenamtler, die sich für Opfer von Straftaten einsetzen. Sie sind zum ersten Mal auf dem Altstadtfest, haben ihren Stand selbst aufgebaut, Standgebühr müssen sie nicht zahlen, ist ja gemeinnützig. Viele Münzen wandern in die Spendendose, man ist zufrieden. Für Kinder werden Luftballons aufgeblasen.
Das Café WUT hat auch einen Stand, mit Kuchen. WUT steht für »Warm Und Trocken«, es wendet sich vor allem an Wohnungslose, bietet an der Untertrave Frühstück, eine warme Mahlzeit, Gespräche. Die Mitarbeiter sammeln Spenden, davon finanziert sich die Begegnungsstätte. Letztes Jahr waren sie nicht dabei, da sollten sie in den Marienkirchhof, wollten aber nicht. Sie seien doch auf den Lauf angewiesen, sagt eine Mitarbeiterin, darauf, dass viele Menschen vorbeigehen.
Beim Rathaus steht der Stand der Vorwerker Diakonie, hier werden mit einem Büchertisch Spenden gesammelt. Es gibt gebrauchte Literatur zum günstigen Preis. Und Infos über die soziale Einrichtung, die verblüffen: Rund 1600 hauptamtliche Mitarbeiter hat der gemeinnützige Verein. Damit ist die Diakonie der drittgrößte Arbeitgeber Lübecks. Ein echtes, großes Stück Lübeck auf dem Altstadtfest.
So wie die »Schützengilde Lübscher Adler e.V. von 1968« mit ihrem inflationssicheren Schießstand in der Beckergrube. Zu DM-Zeiten kostete das Scheiben-Schießen eine Mark, jetzt kostet es eben 50 Cent. »Sie können nicht 1 Euro nehmen, dann schießt gar keiner mehr«, meint Olaf Claasen, 35 Jahre im Verein, 34 Jahre im Schießstand. Der einzige mobile Vereins-Schießstand in Lübeck wohlgemerkt. »Das ist ja günstig«, meint eine Mutter als sie das mit den 50 Cent liest. In der Beckergrube steht auch ein aufblasbare Hüpfburg, 15 Minuten 2,50 Euro. Da hört man andere Töne. Bei den Schützen nur positives.
Als Verein brauchen sie diesmal keine Standgebühr zahlen. Als Olaf Claasen davon gelesen hat, hat er gleich seinem Kassenwart Bescheid gesagt und der hat das dann organisiert. Nun sind sie das erste Mal seit Jahren wieder dabei. Früher wurde nach Frontfläche abgerechnet, drei Meter, das ging noch. Dann nach Quadratmeter, das sind beim Schießstand 9, das ging dann finanziell nicht mehr. Ob sie nächstes Jahr wiederkommen, wissen sie trotzdem nicht, sie müssen ja Munition kaufen und die Preise.
Spricht man mit den Stammgästen auf dem Altstadtfest, schwärmen praktisch alle von früher. Jeder, der grade mal alt genug ist um sich noch vage zu erinnern an damals, vor 30 Jahren. Größer war das Fest früher, praktisch die ganze Altstadt, die ganze Fußgängerzone war Altstadtfest.
Es gab mehr Angebote für Kinder damals. Die Sonderstempel von der Post und Lübeck-Souvenirs, irgendwie mehr Lübeck. Eine andere Atmosphäre. Jazz in den Hinterhöfen. Es ist schwer zu fassen, dieses Altstadtfest von früher, das alle vermissen. Ist das die neue Zeit oder verklärte Erinnerung?
»Und was bleibt nach dem Tag...?«, singt Sängerin Schné mit ihrer hellen Stimme auf der »Lübecker Bühne« in der Beckergrube. TA