MEDIEN
Travemünde 11.02.2018
»Der Seebär kam aus Masuren«
Zeitzeuge Walter Gust am Dienstag live bei »Radio Travemünde«
Im Jahre 1953 besuchte Buddenbrooks-Autor Thomas Mann Travemünde. Auf der Strandpromenade schaute er durch ein Fernglas und wurde dabei fotografiert. Doch wer ist der Mann mit der Weißen Mütze, der das Fernglas vermietet? Auch im Lübecker Buddenbrookhaus wusste man nicht weiter, nannte ihn nur den »Seebär«. In der Dezember-Ausgabe von »Travemünde Aktuell« fragten wir unsere Leser. Daraufhin meldete sich Walter Gust (80) aus der Kurgartenstraße.
»Ich habe mit ihm Wand an Wand gewohnt«, erzählt Walter Gust aus Travemünde. Nach dem Krieg kam er als Flüchtling mit seiner Mutter ins Seebad. Damals gab es in der Kurgartenstraße das »Lieboldheim«. Walter Gust erinnert sich noch, dass im Eingang rechts ein großes Bild des Stifters hing. In dem Haus gab es Wohnungen, in denen betuchte Travemünder Witwen gewohnt hätten. Und die mussten dann für die Flüchtlinge ihre Kammern mit Erker zur Kurgartenstraße hin hergeben.
Acht Quadratmeter hätte das Zimmer gehabt, dass er sich mit seiner Mutter teilte, erinnert sich Walter Gust. Nebenan wohnte der »Seebär«, der Max Butler geheißen habe. »Er kam aus Ostpreußen von der masurischen Grenze«, erzählt Walter Gust. Aus dem damaligen preußischen Landkreis Ortelsburg, später Allenstein. »Er konnte Deutsch und Polnisch«, erzählt Walter Gust. »Wenn er fluchte, fluchte er auf Polnisch«.
Nur durch eine Pappwand getrennt wohnte Max Butler mit seiner Frau im Zimmer nebenan. Er hätte für die Kurverwaltung gearbeitet, von der er auch Mütze und Jacke gehabt habe. So stand er mit dem Fernglas an der Strandpromenade. 20 Pfennig kostete damals der »Blick in die Russische Zone«, wie das Werbeschild verhieß. Ob er von dem Münzen etwas an die Kurverwaltung abgeben musste, weiß Walter Gust nicht. »Jedenfalls brachte er immer reichlich mit nach Hause«, sagt er. Wenn nebenan das Kleingeld auf den Tisch prasselte, konnte er das durch die dünnen Wände hören. Max Butler hätte sein Geld dann immer auf Polnisch gezählt, damit die anderen nicht mitbekämen, wie viel es war, erzählt Walter Gust. Ein gewitzter Mann sei das gewesen.
An einiges kann er sich noch erinnern. Etwa sprachliche Eigenheiten: Statt »Motorrad« hätte er »Radmotor« gesagt. Und ein Holzbein gehabt, das an einem über die Schulter geführten Lederriemen hing. Auf die Frage, was er früher gemacht hätte, antwortete er: »Ich war bei der Kommandaturverwaltung«.
Einmal begleitete ihn Walter Gust zum Ausgraben eines Stuppens (Baumwurzel). Mit dem Holz wurde geheizt und man musste sich damals extra einen Bezugsschein dafür holen. Welche Wurzel ausgegraben werden durfte, war genau festgelegt. Gemeinsam mit dem Fernglas-Vermieter ging es ans Werk. »Kräfte hat er gehabt wie ein Bär«, erzählt Walter Gust.
Der Travemünder lebte von 1948 bis 1960 in dem Zimmer. In den 1960er Jahren müsste der Fernglas-Vermieter dann gestorben sein, meint er. Nachkommen sollen noch in der Region leben. TA
Rolf Fechner von »Radio Travemünde« wird mit Walter Gust ein Live-Interview führen. Er wird unter anderem über den Seebären, das Lieboldheim in der Kurgartenstraße, sowie seine Tätigkeit als Dachdecker und im ehemaligen Spaßbad Aquatop erzählen. Zu hören ist der Beitrag am Dienstag, 13. Februar 2018, ab 17:00 Uhr im »Travemünder Journal« auf 98,8 MHz, über Kabel auf 106,5 MHz im Kabel und im Internet als Livestream auf www.okluebeck.de.